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Von Heinrich Zihlmann Kindheit und Jugend in den 40er, 50er und 60er Jahre
Es werden nur Texte von über 10 Internet-Seiten publiziert.
Zurzeit sind 552 Biographien in Arbeit und davon 313 Biographien veröffentlicht.
Vollendete Autobiographien: 191
 
Heinrich Zihlmann
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Vorwort
1.
Hausgeburt
2.
Meine Familie
3.
Mein Name
4.
Meine Eltern
5.
Das Elternhaus
6.
Jugendzeit
7.
Wohnstube und Büro
8.
Lebensmittel, Kolonialwaren, Landesprodukte
9.
Rattenplage
10.
Am Brunnen vor dem Tore
11.
Gefangen im Kachelofen
12.
Im Moor versunken
13.
Ich, der Hühnerdieb
14.
Unser Schulhaus
15.
Faszination Grammophon
16.
Leseratte
17.
Malheur in der Bäckerei
18.
Aufsätze auf dem Kamin
19.
Unmusikalisch
20.
Grosse Wäsche
21.
Hausmetzgete
22.
Salzverkauf-Monopol
23.
Kaninchen zu verkaufen
24.
Mysteriöses Glockengeläute
25.
Arm gebrochen
26.
Beim Coiffeur
27.
Entgleist
28.
Auffahrts-Prozession
29.
2-Tage-Pässefahrt
30.
Ich als Verleger und Mitredaktor
31.
Sternzeichen Fisch
32.
Geheim-Alphabet und Geheimtinte
33.
Parlez-vous français
34.
Zahnschmerzen
35.
Eine Sensation: das Fernsehen
36.
Mächtige Zeitungslobby
37.
Eignungsprüfung für Schriftsetzer und Buchdrucker
38.
Harte Lehrjahre
39.
Muba-Besuch mit dem Velo
40.
Alltag als Lehrling
41.
Ich als Aquisiteur
42.
Sterbende Tante
43.
Mit 150 km/h über die Autobahn
44.
Stressige Autofahrprüfung
45.
Mit 20 Jahren an die Inspektion
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Besuch im Tessin
47.
Gautschete
48.
Der Tod von Papst Johannes XXIII.
49.
Eigenes Fotolabor
50.
Unfahrtüchtiges Auto
51.
Von Tag zu Tag
Vorwort
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  Vorwort
An viele Episoden meiner ersten 25 Jahre auf dieser Erde kann ich mich noch genau erinnern. Es waren sehr abwechslungsreiche Jahre, in denen ich viel erlebt habe und auch einige kritische Abenteuer überlebte. Deshalb gliedere ich die Ereignisse in 50 – meist kurze – Episoden auf. Wahrscheinlich werde ich meine Lebensgeschichte, also die Jahre ab meinem 25. Altersjahr, weiterschreiben. Aber im Moment bin ich noch nicht soweit, und ich glaube, sie werden weniger ereignisreich sein.
Hausgeburt
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1.  Hausgeburt

Geboren wurde ich am 28. Februar 1942 in Gettnau LU. Ich erblickte zuhause das Licht der Welt. Schon 8 Jahre vorher war meine Schwester geboren worden, und 15 Monate vor meiner Geburt kam mein Bruder zur Welt. Meine Eltern wussten also, was vorzukehren war: Hebamme anrufen – sie kam aus dem Nachbardorf mit ihrem Roller Lambretta – heisses Wasser aufbrühen, Tücher bereithalten und was es halt sonst noch zu einer Geburt zuhause brauchte. So erblickte ich um die Mittagszeit das Licht der Welt. Die Geburt verlief, soweit ich weiss, reibungslos, ja für meine Mutter und die Hebamme war es scheinbar schon fast Routine. Einen Namen hatten meine Eltern bereits bestimmt: Heinrich Anton. Mein Götti hiess Anton, also gleich wie der Bruder meiner Mutter. 



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Die Hebamme kam zu meiner Geburt mit der Lambretta  angebraust


Meine Familie
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2.  Meine Familie
Da waren  meine Eltern. Der Vater Jahrgang 1888, die Mutter Jahrgang 1907. Die älteste Schwester Jahrgang 1934, dann meine Brüder 1940, 1943, 1944, meine Schwestern 1945 und 1949. In unserem Haushalt lebten auch noch Vaters ältester lediger Bruder und seine ebenfalls ledige Schwester. Somit sassen jeweils 11 Personen am Tisch. Später zogen meine Tante und Onkel in den oberen Stock in unserem Haus.
Mein Name
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3.  Mein Name
In meinem Pass steht: Heinrich Anton Zihlmann. Aber von Anfang an nannte man mich Heiri. Heinrich bedeutet übersetzt „der Herrscher des Heims“ und „der Hausherr“. Der Name geht vermutlich auf den alten Namen Heimrich zurück und hat daher eine althochdeutsche Herkunft. Heinrich war seit dem Mittelalter und bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein sehr weit verbreiteter und beliebter Vorname. Heute kommt er selten mehr vor.

Wenn ich mich vorstellte, musste ich später immer wieder hören: "Dä Heiri hätt äs Chalb verchauft", in Anlehnung an die Kleine Niederdorfoper. Jeder meinte dann, es haue mich vom Stängeli wegen dieses Witzes. Aber wenn man das über Jahre hinweg immer wieder hört, ist es nicht mehr besonders lustig.
Wenn jemand meinen Namen "Heinrich" liest, kann es sein, dass er den Spruch fallen lässt: "Heinrich mir grauts vor dir". zu sagen. Je nachdem, wen ich vor mir habe, antworte ich dann: "Mir auch, aber vor dir." Dieses Zitat stammt aus Goethes Tragödie Faust, 1. Teil. In der Kerkerszene widersteht Gretchen der Versuchung, mit Fausts und Mephistos Hilfe zu entfliehen und damit ihrer Hinrichtung zu entgehen. Sie will so ihre Schuld büssen und wendet sich von Faust mit den Worten ab: "Heinrich! Mir grauts vor dir."

Auch dies finde ich inzwischen nicht mehr so originell. Aber man gewöhnt sich daran. Oft ist es im Laufe meines Lebens schon passiert, dass Leute, vor allem Deutsche, gesagt haben: "Bei uns heisst das Heinz, oder Heini". Und weigerten sich "Heiri" zu sagen. Es gibt zwei, drei Menschen, die mich spontan "Henry" nennen mit der Begründung, dieser Name passe besser zu mir. Das ist mir inzwischen egal.


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Das Familienwappen Zihlmann
Meine Eltern
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4.  Meine Eltern
Mein Vater

Mein Vater, Jahrgang 1888, wurde auf einem Bauernhof als jüngstes von 5 Kindern in Hergiswil LU geboren. Auf diesem Hof, auf dem ich in meiner Primarschulzeit in den Herbstferien jeweils das Vieh hütete, gab es noch Gegenstände, die aus Napoleons Zeiten stammten. Beispielsweise hing an der Wand in der Stube noch ein langer Säbel aus dem Napoleon-Krieg. Auch viele Redensarten aus dieser Zeit wurden immer noch verwendet. Ein "Näppel" (Napoleon) war eine 20er Note. Bei einer Verletzung sagten meine Vorfahren "blessiert" (= verletzt). 

Aber zurück zu meinem Vater. Zusammen mit seinem ältesten Bruder, Jahrgang 1877 und seiner Schwester kaufte er Anfang der 1930er Jahre ein grosses Haus mit viel Umschwung in Gettnau LU. Der Quadratmeterpreis betrug 2 Franken. Auch 3 verschiedene Parzellen Wald gehörten dazu. Das Anwesen bestand aus mehreren Gebäuden, und ein Lebensmittelladen und ein Magazin mit Landesprodukten waren vorhanden. Er heiratete erst mit 45 Jahren Louise Ambühl aus Ohmstal. Sie war 19 Jahre jünger. Zusammen hatten sie 7 Kinder (ich war der Drittälteste). Mein Vater war ziemlich introvertiert und etwas "dünnhäutig". Als Folge davon war ein Magengeschwür. Er ging deswegen nicht zum Arzt. Eine 2wöchige Kur zuhause im Bett – ausschliesslich mit Fruchtsäften aus rohen Kartoffeln, Karotten und Randen – liessen ihn wieder gesunden. Er litt zeitlebens mehr oder weniger an Asthma, aber er trank nie Alkohol und war Nichtraucher. Gerne wäre er Kirchenrat geworden. Aber man wählte ihn in stattdessen in die Schulpflege (Schulrat). Das passte ihm gar nicht. Er nahm an keiner Sitzung teil. Nach einer Weile ging einfach meine Mutter, obwohl nicht gewählt, als erste Frau in der Geschichte des Dorfes, in diese Behörde. Das wurde allgemein akzeptiert. Nach den abendlichen Abwesenheiten meiner Mutter war er eine Zeitlang wortkarg. Sonst aber war er sehr fürsorglich und hat uns Kinder nie geschlagen, was zu dieser Zeit nicht selbstverständlich war. Mein Vater erahnte spontane und nicht spontanen Phänomene, die mit "normalem" Empfinden nicht erklärbar sind. Vor allem spürte er Todesfälle in seinem Umfeld vielfach voraus. An einem Sonntag sagte er zu mir: "Komm, wir besuchen meinen drittältesten Bruder, deinen Onkel Josef." Wir hatten den Kontakt zu ihm jahrelang verloren. Mit dem Velo fuhren wir in das 8 km entfernte Hergiswil. Dort angekommen, wunderte sich der Onkel über unseren unerwarteten Besuch. 2 Tage später starb er plötzlich. Hatte mein Vater dessen Tod vorausgeahnt? Ein weiteres Phänomen war der Umstand, dass unser Familienoberhaupt keine Uhr am Handgelenk tragen konnte, das heisst, tragen konnte er Armbanduhren, aber sie blieben einfach stehen. Egal, ob es mechanische oder automatische Zeitmesser waren. 

Es war sein Wunsch, dass einer seiner 4 Söhne das Geschäft übernehmen würde. Alle vier  besuchten die Mittelschule, heute Kantonsschule Willisau, die 3 Mädchen die Sekundarschule. Seine Söhne hatten kein Geschäftsinteresse: der erste studierte Theologie, der zweite (ich) lernte Schriftsetzer, der dritte machte das KV, wollte aber nicht ins  väterlichen Geschäft einsteigen, und der vierte machte eine Lehre als Flexograf. Auf dem zweiten Bildungsweg wurde er später Lehrer. So verkaufte unser Vater mit 74 Jahren das Geschäft und baute ein Einfamilienhaus. Leider konnte er nur noch 3 Jahre den Ruhestand geniessen. Er war sehr stolz, dass er 1966 die Priesterweihe und Primiz seines ältesten Sohnes erleben durfte. Sein Erstgeborener war es dann auch, der die Beerdigung und Trauerfeier abhielt.

Meine Mutter

Meine Mutter, Jahrgang 1917, wuchs zusammenm mit 4 Brüdern und 2 Schwestern auf einem Bauernhof in Ohmstal LU auf. Da sie nach der Geburt scheinbar leblos war und nicht mehr atmete, schob man den Kinderwagen in den Gang hinaus und dachte, sie sei gestorben. Doch kurz darauf hörten die Eltern ein Wimmern, der Säugling lebte doch und erholte sich rasch. Nach der Primarschule in Ohmstal besuchte sie die Sekundarschule im benachbarten Schötz. Nachher trat sie in das das von Baldegger-Schwestern geführte Mädcheninstitut in Hertenstein ein. Nach verschiedenen Arbeitsstellen heiratete sie mit 26 Jahren den 19 Jahre älteren Alois. Die Hochzeitsreise führte sie nach Rom, und 9 Monate später kam meine älteste Schwester zur Welt. Es sollte dann 6 Jahre dauern bis im Jahresabstand 4 Knaben und 2 Mädchen geboren wurden. Meine Mutter war sehr extravertiert. Sei es als Geschäfts- oder Hausfrau, überall fand sie schnell Kontakt. Den Altersunterschied zu ihrem Ehegatten merkte man allerdings schon. Immerhin trennte sie fast eine Generation. Uns Kindern war sie eine fürsorgliche Erzieherin. In der Schulzeit waren wir manchmal ihre Verbündete, wenn der Vater allzu altmodische Ansichten vertrat oder wenn es um finanzielle oder schulische Belange ging. Ausser dem Amt als Schulrätin wurde sie auch Präsidentin des Müttervereins. Diese Aktivitäten der Mutter führten in der Ehe zu Spannungen. Die Mutter litt darunter. Da die Einkommensverhältnisse alles andere als rosig waren, musste die Mutter sehr haushälterisch umgehen. Aber sie fand immer einen Weg, dass wir ordentlich gekleidet waren und wir trotz manchmal kargen Mahlzeiten nicht hungern mussten. 

Wir schätzten es auch sehr, dass sie uns altersgerechte Märchen vorlas. Sie war auch darauf bedacht, dass wir täglich beteten, sei es vor dem Essen oder dass wir regelmässig in die Gottesdienste gingen. Wir Buben wurden auch Messdiener (die Mädchen waren damals von diesem Amt ausgeschlossen). Im allgemeinen waren unsere Eltern sehr fürsorglich. Keiner von uns wurde geschlagen oder erhielt je eine Ohrfeige. Damals waren körperliche Züchtigungen noch gang und gäbe. 
Nach einem geplatzten Blinddarm schwebte sie in Lebensgefahr, die Ärzte hatten sie schon aufgegeben. Doch wie ein Wunder überstand sie den Eingriff. – Nach der fünften Niederkunft, es war eine Frühgeburt im 7. Monat im Spital, riet man ihr dringend von einer weiteren Schwangerschaft ab. Es könnten ernsthafte Komplikationen auftreten. Wenige Monate  später kündigte sich wieder ein Baby an. Mit Gottvertrauen meisterte sie auch diesmal die 9 Monate und sah von einem Spitalaufenthalt ab. Es gab wieder eine Hausgeburt, ein von der ältesten Schwester sehnlichst erwartetes Mädchen. Die Geburt verlief ohne Komplikationen. Als Baby wurde sie einige Wochen später, eingebettet in eine Zaine (Wäschekorb), oben auf dem Kachelofen plaziert und schlief selig ein. Unsere Tante heizte  von der Küche aus kräftig ein. Sie wusste ja nicht, dass in der Zaine das Kind schlief. Irgendwann wurde es oben auf dem Kachelofen sehr heiss, und bis das Baby zu weinen begann, hatte es schon Verbrennungen. Natürlich wurden Sofortmassnahmen ergriffen um das schreiende, von Schmerzen geplagte Kind zu pflegen. Statt einen Arzt zu rufen, bat man den Pfarrer ins Haus, der für eine Heilung betete. Und tatsächlich heilten die Wunden bald. Die jüngste Schwester war 1949 ein "Nachzügerli", ebenfalls zuhause geboren. Zu diesem Zeitpunkt war die Mutter  42jährig, der Vater schon 61.

Nach der Geburt der jüngsten Tochter begann meine Mutter zu rauchen. Mehrmals am Tag zog sie sich in den Garten zurück. Dort, von Gebüschen umgeben, von aussen unsichtbar, rauchte sie Zigaretten. Wir Buben – ich war damals 7jährig – standen Schmiere, denn der Vater durfte das keinesfalls sehen. Nach knapp 3 Monaten hatte sie plötzlich keine Lust mehr auf Raucherwaren. Des Rätsels Lösung: eine reiche Kirschenernte war schuld daran. Irgendwie hatte sie einen Mangel, der durch das Kirschenessen scheinbar behoben wurde. Von diesem Zeitpunkt an wurde sie wieder Nichtraucherin.
Auto besassen meine Eltern keines. Aber weil für meine Mutter Verwandtenbesuche oder Besorgungen im Städtchen Willisau manchmal etwas mühsam waren, kaufte sie sich ein Velosolex, also quasi ein Velo mit Motorantrieb. Vor allem im Winter war es eine Herausforderung, dieses Vehikel mit dem schweren Motor auf schneebedeckten Strassen zu meistern.




(1)

 Das Velosolex – damals ein geniales Fortbewegungsmittel




Das Elternhaus
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5.  Das Elternhaus


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Luftbild des Gebäudekomplexes, in dem ich aufgewachsen bin


Ich wuchs im elterlichen Haus in Gettnau, einer kleinen Gemeinde des Luzerner Hinterlandes auf.

Ich konnte mit 18 Monaten noch nicht laufen. Ich kroch nur auf allen Vieren. Es stellte sich heraus, dass ich zu weiche Knochen hatte. Die Diagnose: Rachitis, das heisst, ein akuter Vitamin D-Mangel. In den Kriegsjahren war die Ernährung sehr einseitig. Meinen Eltern muss ich es aber hoch anrechnen, dass sie alles unternahmen, diesen Mangel zu beheben. So fuhr mich meine Mutter mehrmals mit dem Velo nach Willisau. Ich wurde dort mit einer Höhensonne „bestrahlt“. Die Wirkung liess nicht lange auf sich warten. Schon bald konnte ich endlich lazfen.

In den 40er-, 50er- und 60er Jahren gab es oftmals sehr kalte Winter. Wochenlange Minustemperaturen bis zu 20 Grad waren keine Seltenheit. Meistens hatten wir nur Schuhe mit einer Holzsohle. Wir kleideten sie mit Zeitungspapier aus. Trotzdem kämpfte ich im Vorschulalter mit Frostbeulen (Gfrörni). Die Zehen schmerzten, vor allem die kleinen Zehen waren wund fast bis auf die Knochen. Als „Therapie“ musste ich mich jeweils barfuss für einige Minuten in den Schnee begeben. Wenn ich danach in die Küche kam, schoss das Blut in die Zehen, und es fühlte sich an wie tausend Nadelstiche. Ein wenig half diese Prozedur, aber erst eine Spezialsalbe aus der Apotheke linderte die Schmerzen. Mit der Zeit besserte sich dieses Leiden gottseidank.

Zum Frühstück gab es jeweils alternierend Hafersuppe mit einem Stück Brot oder Kartoffelrösti. Nur am Sonntag erhielten wir 2 Brotschnitten, durften aber lediglich Margarine oder Konfitüre draufstreichen. So belegten wir das eine mit Margarine, das andere mit Konfitüre. Damit hatten wir ein Sandwich. Da wir eine Zeitlang auch 2-3 Ziegen hatten, mussten wir deren Milch trinken, obwohl sie uns gar nicht schmeckte. Halbe-halbe mit Kuhmilch war sie dann einigermassen geniessbar.
Auf der Oberfläche der Kuhmilch, die im Keller gekühlt wurde, bildete sich eine Rahmschicht. Diese 
wurde in ein Buttergefäss mit Handkurbel abgefüllt.


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 Je nach Rahmtemperatur des Rahms musste man 5 bis 15 Minuten kurbeln bis daraus Butter entstand.


In den Schlafzimmern gab es keine Heizung. Eine warme Bettflasche aus Blech oder Gummi erwärmte in den strengen Wintern das eiskalte Bett. Wir Buben hatten kein eigenes Bett. Mein älterer Bruder und ich teilten uns eines, die beiden jüngeren Brüder schliefen in einem anderen Bett. Zusammen waren wir zu viert in einem Zimmer. Als einer von uns die Masern bekam, waren die andern 3 schon bald ebenfalls knallrot. In den kalten Wintern bildeten sich an den Fenstern Eisblumen.


(3)

Wir konnten uns dann auch nicht waschen, da das Wasser im Waschbecken ebenfalls gefroren war. Der Nachttopf war unser nächtlicher Begleiter.

Unser Haus wies noch 3 weitere, aber nur teilweise beheizbare Kachelöfen auf. Es gab lediglich in der Küche einen Kaltwasseranschluss. Selbst die Topflappen am Herd waren jeweils am Morgen gefroren. Gebadet wurde einmal in der Woche, samstags, in einem Zuber in der Küche: zuerst die Mädchen und nach und nach wir Buben. Die Toilette war ausserhalb des Hauses, ein primitives Klumpsklo. Wir lebten also sehr einfach, hatten aber dafür viel Auslauf und Freiraum.

An einem schwülheissen Sommertag im Jahre 1950 zog ein heftiges Gewitter auf. Die Kirchenglocken läuteten Sturm. Meine Mutter zündete eine Kerze an, und wir beteten Es begann zu hageln, und ein Grossteil der Ziegel zersplitterte. Da das Haus kein Unterdach hatte, regnete es in den Estrich hinein. Es dauerte einige Tage bis die Reparaturen ausgeführt waren, denn wir waren ja nicht die einzigen Geschädigten.
Jugendzeit
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6.  Jugendzeit
Das Elternhaus hatte ausser unserer Wohnung noch zwei Mietwohnungen. Gekocht wurde auf einem Holzofen, der – um eine warme Mahlzeit herzurichten – bereits am frühen Morgen eingefeuert werden musste. Zugleich erwärmte er den Kachelofen in der Stube. 

In der Küche gab es nur einen Kaltwasseranschluss. Der Kochherd war sehr primitiv: 2 Kochplatten und 1 Wasserbehälter mussten reichen. Eingefeuert wurde mit Holz, und je nach Wetterlage wollte es manchmal nur schwer brennen. Der Backofen verdiente seinen Namen nicht, denn wirklich backen konnte man darin kaum etwas. Bestenfalls diente er zum Speisen warm halten. Die Küche war im Winter kalt. Die Temperatur fiel nachts manchmal unter null Grad, selbst die Topflappen am Herd waren jeweils am Morgen gefroren. Vor Weihnachten stellte meine Mutter Lebkuchen und Birnenweggen her, das heisst, sie machte sie backfertig. Die nahegelegene Bäckerei buk dann diese Köstlichkeiten. Für uns war es immer ein vorzügliche kulinarische Abwechslung, aber leider nur für kurze Zeit, denn wegen der Vielzahl an Essern waren die Köstlichkeiten bald vertilgt.


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 Primitiver Kochherd mit Holzfeuerung


Wohnstube und Büro
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7.  Wohnstube und Büro

Unsere Stube diente auch als Vaters Büro. Auf einem Schreibtisch war sogar eine Schreibmaschine vorhanden, und zwar eine, bei der man mit einem Zeiger den gewünschten Buchstaben anwählte und dann diesen per Tastendruck aufs Papier tippte. Eine langsame, aber für uns Kinder beeindruckende Tätigkeit. Gerne tippten wir darauf, wenn es die Eltern nicht merkten.


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Buchstaben anwählen und Taste hinunterdrücken, langsam und mühselig


An der Wand hing ein schwarzes Telefon, eines der wenigen, welche es in unserem Dorf damals gab. So kamen auch viele Ladenbesucher – auch sonntags – in unsere gute Stube um zu telefonieren. Ganz am Anfang, so erzählte unser Vater, hatte er die Telefonnummer 6. Mit der Wahlscheibe konnte man das Postbüro unseres Dorfes anrufen und die gewünschte Nummer mitteilen. Die Posthalterin stöpselte dann die gewünschteVerbindung. Da sie neugierig war, hörte sie die Gespräche via Kopfhörer meistens mit. 



(2)

Das Wandtelefon, die Verbindung zur Aussenwelt

Lebensmittel, Kolonialwaren, Landesprodukte
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8.  Lebensmittel, Kolonialwaren, Landesprodukte
Im Elternhaus gab es einen Verkaufsladen mit einem Schaufenster. Die Eltern verkauften Kolonialwaren, wie damals der Begriff hiess. Inmitten des Ladens – Lebensmittel hin oder her – konnte man auch Petroleum vom Keller in den Verkaufsladen heraufpumpen. Die Leute kamen mit leeren Flaschen und wünschten „Steinöl“ für ihre Petrollampen und Heizöfeli. Fast täglich kamen Vertreter verschiedenster Firmen vorbei, um ihre Produkte in unserem Laden zu plazieren: Kaffee, Konserven, Schachtelkäse, Waschmittel, Schokoladen, Reis, usw. Apropos Schokoladen: wir Kinder durften jeweils Schokoladen-Neuheiten und deren Geschmack testen. Der Vertreter fragte uns dann nach unserer Meinung und notierte, wie wir den Geschmack der Neuheiten beurteilten. Man sieht, schon damals wurde Marktforschung betrieben.

Als ich einmal allein den Laden hütete, kam ein Knecht herein und wünschte ein Paket Tabak für seine Pfeife, und zwar einen leichten. Ich nahm ein Paket Tabak und legte es auf die Waage. "Das meinte ich nicht", erwiderte er und schmunzelte. Wir einigten uns dann auf den "Sämi"-Tabak.


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Der "leichte" Sämi-Pfeifentabak 


Angegliedert an den Laden war auch ein grosses Gebäude, das Magazin, mit Landesprodukten. Dort verkaufte mein Vater den Bauern Stroh, Mehl, Saatgut, Saatkartoffeln und Dünger. Die Bauern der weiteren und näheren Umgebung kamen mit dem Fuhrwerk und holten die Ware ab. Traktoren gab es nur wenige, Benzin war knapp. Es gab Autos und Traktoren mit Holzvergaser. An einen solchen kann ich mich noch gut erinnern. Es war so um 1948 herum, als ein Landwirt mit einem rauchenden Traktor bei uns vorfuhr. Es war ein Traktor mit Holzvergaser, das heisst, unten im  Zylinder wurde mit Holz eingeheizt. Diese Gefährt faszinierte mich, denn ich hatte noch nie sowas gesehen.



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Alter Traktor mit Holzvergaser

Mein Vater handelte im Herbst auch mit Obst, kaufte an und verkaufte dieses. Äpfel und Birnen landeten in der Obstpresse. Der Most wurde sterilisiert und in grosse Korbflaschen abgefüllt. Dadurch war dieser längere Zeit haltbar. Der Vater kaufte aus Frankreich grosse gebrauchte Cognac-Fässer. Cognac reift ausschließlich in neuen, noch nicht benutzten Fässern, die speziell dafür hergestellt wurden. Nach deren Benutzung dienten sie als Obsttrester-Fässer. Sie beinhalteten bis zu tausend Litern und wurden in Eisenbahnwagen angeliefert. Der anfallende Obsttrester landete in diesen Fässern. Wir Knaben krochen oben hinein und stampften mit nackten Füssen den Trester. Unter Anleitung des Vaters restaurierten wir diejenigen Fässer, die wie verkaufen wollten. Wir Buben schliffen die Fassreifen ab und strichen sie mit schwarzer Farbe an. Die Gebinde sahen danach recht ordentlich aus und wurden an die Bauern weiterverkauft.   



(3)

Schnapsbrennerei


Hin und wieder kam der Schnapsbrenner für einige Tage auf die Stör und brannte den Obsttrester. Den Schnaps verkauften wir im Laden. Wenn jemand diese Spirituose kaufen wollte, vermied er das Wort "Schnaps" und verlangte nach "Weihwasser". Denn der Verkauf war nicht ganz legal.

Da meine Eltern auch Waldbesitzer waren, wurde Holz nicht nur zum Heizen geschlagen, sondern auch als sogenanntes Papierholz aufbereitet. Wir Buben mussten die Tannen abrinden und mit einer grossen Säge auf einen Meter Länge zuschneiden. Bahnwagenweise wurde das Holz in die Papierfabriken verschickt.

Unser Vater erzählte uns, dass er im Jahre 1944 zwei internierte Italiener beschäftigte. Das waren günstige Tagelöhner. Vor allem wurden sie im Wald beschäftigt. Sie fällten Tannen und sägten sie zu Brennholz. Schöne Tannen wurden zu Brettern und sonstigem Bauholz aufbereitet. Beim ersten Mal zeigte mein Vater, welche Sie umzulegen hatten. Als er am Abend im Wald ankam, staunte er nicht schlecht: die schönsten Tannen waren auf einer Höhe von etwa 1,5 Metern abgesägt worden. Die cleveren Migranten hatten die Stämme bequem stehend abgeschnitten, statt sie bodeneben zu sägen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Und der Schaden war sehr gross, war doch das schöne Holz für die Dorfsägerei vorgesehen. 

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Mit einer solchen Säge wurden Tannen umgesägt und "Papierholz" zugeschnitten

Rattenplage
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9.  Rattenplage
In unserer Scheune und deren Umgebung gab es während vieler Jahre ungeliebte Gäste: Hausratten. Sie vermehrten sich und frassen was das Zeug hielt. Mein Vater führte jahrelang ein Kampf gegen sie. Aber die Tiere waren sehr schlau. Ob mit der Schrotflinte, Rattengift oder Elektrozäunen, die Biester passten sich den verschiedensten Situationen an. Die Ratten spürten im voraus, wenn ihnen Gefahr drohte. Notfalls schickten sie ein Junges voraus. Starb dieses, zogen sie sich zurück und mieden die Gefahrenzone eine Zeitlang. Es war ihnen sehr schwer beizukommen, ein fast aussichtsloser Kampf. Im Winter, wenn es eisig kalt war, kam es vor, dass sie nachts auf den Schweinen schliefen um nicht zu frieren. In den 50er und 60er Jahren gab es oft sehr strenge Winter. 20 Grad Minustemperaturen waren keine Seltenheit. Stein und Bein waren gefroren. Schnee gab es in Hülle und Fülle.

Witterten die Ratten eine Gefahr, verschwanden sie schnell in Löchern, Zwischenräumen  oder hinter Strohballen. Wir Kinder ekelten uns von diesen Tieren mit ihren langen Schwänzen und flinken Beinen. Es kam auch schon mal vor, dass sich unsere Katzen einen Kampf mit den Nagetieren lieferten und verloren. Sie zogen sich dann zurück. Oft waren sie verletzt. Aber mit Katzen ging man nicht zum Tierarzt, es gab ja so viele herumstreunende Büsis. Kastrationen kannte man nicht, das wäre zu teuer gewesen Deshalb vermehrten sie sich und bekamen im Mai und im August ständig Nachwuchs, wobei die Meinung vorherrschte, dass sich nur Maikätzchen widerstandsfähig sind.

Der Dorfbach floss unter dem Vorplatz unseres Hauses vorbei. Lediglich ein Teil des Baches zwischen unserem und Nachbars Haus war nicht in Röhren gelegt, also frei einsichtbar. Hin und wieder habe ich darin Wasserratten entdeckt, für mich ebenso eklig, flink und unheimlich. Noch heute bekomme ich Gänsehaut beim Anblick solcher Tiere. Auch Mäuse, die es ja überall gibt, rufen bei mir Ekel hervor, ich habe eine Ratten- und Mäusephobie.



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Wurden zu einer richtigen Plage: Hausratten
 

Am Brunnen vor dem Tore
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10.  Am Brunnen vor dem Tore
Unser Haus hatte eine eigene Wasserversorgung. Aus einer Quelle oberhalb des Kühberges wurde das Wasser gefasst und über eine Brunnenstube zu unserem Haus geleitet. Ein Brunnen auf dem Vorplatz unserer Liegenschaft sprudelte jahraus, jahrein. Dieser Brunnen übte in meiner Vorschulzeit eine magische Anziehungskraft aus. Aber jedesmal, so erzählte mir meine Mutter später, wenn ich mich diesem Brunnen näherte, entleerte sich meine Blase. Es gab auch immer wieder Wasserunterbrüche wenn in den strengen Wintern die Leitung im Boden einfror. Da musste man die Erde ausheben und die Leitung auftauen und allenfalls reparieren. Das konnte ein, zwei Tage dauern, und das Haus war in dieser Zeit ohne Wasser.

Gegenüber unserem Haus war die Dorfkäserei. Die Bauern brachten die Milch teilweise mit dem Pferd und einem Zweiradwagen. Andere spannten den Hund vor den Milchkarren. Eines Tages scheute ein Pferd und brannte durch, quer über die Strasse direkt in unseren Brunnen und verfing sich schwer verletzt im Lebhag dahinter. Man musste es notschlachten. Der Brunnen war derart beschädigt, dass er ganz abgebrochen werden und durch einen neuen ersetzt werden musste. Kurz zuvor stand ich vor dem Brunnen und planschte im Wasser. Nicht auszudenken, wenn das Pferd mich getroffen hätte. Dieses Ereignis, ich war mit einigen Metern Abstand Augenzeuge, beschäftigte mich noch lange.



(1)

So in etwa sah der Brunnen auf unserem Hausplatz aus


Es kam auch vor, dass der Bauer oberhalb der Brunnenstube Jauche ausführte und das Wasser deshalb verseucht war. Man musste dann das Wasser abkochen, aber wir haben es irgendwie überlebt. Keimfrei war es jedenfalls kaum. Als etwa 5jähriger hatte ich ständig Hunger, der einfach nicht zu stillen war. Meine Mutter vermutete, ich hätte vielleicht Würmer. In der Apotheke erhielt kaufte sie ein Entwurmungsmittel, und ich wurde dann schnell "wurmfrei".

Schon in früher Kindheit war ich sehr neugierig. Alles, was mir in die Finger kam, wollte ich ausprobieren, wenn nötig im Mund testen, zerbrechen, verbiegen oder – falls für mich wertvoll – verstecken. Als mir eine Stricknadel in die Hände kam, steckte ich sie in eine 220-V-Steckdose. Der Stromschlag schleuderte mich zu Boden. Ob ich einen Kurzschluss ausgelöst habe, weiss ich nicht mehr, aber der Schreck sass mir noch tagelang in den Knochen. Ich trug, soweit man feststellen konnte, keine bleibenden Schäden davon, aber ab diesem Zeitpunkt hatte ich grossen Respekt vor dem „Elektrischen“. Hinter dem Haus gab es auch eine 380-Volt-Steckdose. Die Holzfräse brauchte Starkstrom, um das Holz zu zersägen, damit es in der Küche zum Kochen und Heizen in den Kochherd passte.


(2)

Mit ihr wurde das Holz zugeschnitten, das fürs Kochen und Heizen nötig war

Gefangen im Kachelofen
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11.  Gefangen im Kachelofen
In der Stube stand er, der grosse, 2-stöckige Kachelofen. Er hatte zwei Türchen und dahinter einen Hohlraum, der sich nach links und rechts um etwa einen halben Meter ausdehnte. Wie ich es schaffte, dort hineinzukriechen, ist mir bis heute noch nicht klar. Wie dem auch sei, ich zwängte mich hinein. Zum Glück war er zu diesem Zeitpunkt nicht geheizt. Aber als ich wieder hinauswollte, nützten alle Bewegungen und Verrenkungen nichts. Zuerst versuchte ich es mit den Beinen, aber die stiessen überall an. Kopfvoran gings auch nicht. Das Zerren an meinen Armen und Beinen der Geschwister war erfolglos. Sie riefen meine Eltern, aber auch sie konnten mich nicht hinauszerren. Natürlich hatte ich panische Angst. Man beriet hin und her und erwägte sogar, eine Kachel herauszubrechen. Wie lange mein unfreiwilliger Aufenthalt dauerte, weiss ich nicht mehr. Mir kam es eine Ewigkeit vor. Aber plötzlich schaffte ich es irgendwie, selber heil herauszukommen. Dass dieses Erlebnis künftig bei mir Platzangst bewirkte, stellte ich erst viel später fest, als man mich zwecks CT-Untersuchung in die Röhre schieben wollte. Ich wehrte mich und sperrte mich dagegen. Man musste den Versuch abbrechen. Ich besuchte im Erwachsenenalter einen Kurs Autogenes Training. Dort lernte ich die Angst zu überwinden und konnte seither mehrmals problemlos in die Röhre.


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So in etwa hat mein "Gefängnis" ausgesehen: Ein Kachelofen mit Türchen


Ein anderes Erlebnis blieb mir bis heute in Erinnerung. Streichhölzer faszinierten mich schon sehr früh (einen Kindergarten gab es damals in unserem Dorf nicht, man ging als Siebenjähriger gleich in die erste Klasse). Wie gesagt, das Spiel mit der Flamme zog mich unwiderstehlich an. Ich spielte zusammen mit meinem jüngeren Bruder mit Zündhölzern im Schuppen. Wir testeten, ob Stroh leicht entflammbar sei. In der Tat, es fing schnell an zu brennen. Natürlich erschraken wir sehr. Zum Glück kam unser Vater noch rechtzeitig dazu und konnte es ersticken. Es setzte ein gewaltiges Donnerwetter ab. Sofort nahm er die Streichholzschachtel in sichere Verwahrung. Wieso wir den Brand gelegt haben? Wir hatten gehört, dass die Versicherung bei Brandschäden bezahlen würde. Und da der Vater oft davon gesprochen hatte, dass wir zu wenig Geld hätten für die vielen Rechnungen, die ins Haus flatterten, könnte ja ein Geldsegen der Versicherung nicht schaden.
Im Moor versunken
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12.  Im Moor versunken

Traditionsgemäss feierte man auch in unserem Dorf den 1. August. Dazu gehörten natürlich Raketen. Wir führten in unserem Laden auch welche. Normalerweise steckte man sie in eine Flasche, bevor man sie entzündete. Aber ein Nachbarsbub streckte meinem älteren, etwa 6jährigem Bruder, eine in die Hand und entzündete sie. Mein Bruder umklammerte sie fest und liess sie nicht los. Der Feuerschleif und ein ohrenbetäubender Knall waren die Folge. Zum Glück trug er weder Verbrennungen noch einen Gehörschaden davon.

Auch Fackeln gehörten zu einer 1.-August-Feier. Da kam mir – ich glaube, ich war knapp sieben Jahre alt – die Idee, Rohrkolbenschilf zu beschaffen. Wenn man es zuvor eine Woche lang in einem mit Petrol gefüllten Blechkübel mit dem Kolben nach unten hineinstellte, saugten sie das Petroleum auf und würden dann stundenlang brennen. Ich hatte gehört, dass solches Schilf im Sumpfgebiet des Fabrikweihers, etwa zwei Kilometer ausserhalb des Dorfes, wächst.


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Die Objekte unserer Begierde: Rohrkolben


Zusammen machten sich mein jüngerer Bruder und ich, bewaffnet mit einem Messer, auf den Weg. Noch nie hatten wir es gewagt, ohne Begleitung von zuhause so weit weg zu gehen. Wir sagten niemandem was und marschierten ans Ufer des besagten Weihers. Natürlich wuchs das schönste Schilf im sumpfigen Gelände. Schon bald sanken wir im schlammigen Boden ein. Immer schwerer war der Gang, und immer tiefer sanken wir ein. Mein Bruder – er war gut ein Jahr jünger als ich – sank bald knietief in den Schlamm. Ich versuchte ihn herauszuziehen. Aber das war leichter gesagt als getan. Nun sank auch ich ein, konnte mich aber doch irgendwie wieder befreien. Mein Begleiter sank tiefer und tiefer. Schon bald stak er bis zur Hüfte im Schlamm. Zum Glück sah ich ein, dass ich Hilfe brauchte. Ich sprach ihm zu, er solle sich möglichst nicht bewegen, er werde sicher bald gerettet. Völlig verdreckt rannte ich nach Hause und schilderte meinem Vater was geschehen war. Ich sagte, mein Bruder sei im Fabrikweiher. Natürlich dachte er, dass mein kleiner Bruder im Wasser ertrunken sei. Zusammen mit einigen Helfern, bewaffnet mit Stangen und Leitern, machte man sich schleunigst auf den Weg. Zum Glück fand ich die „Unglücksstelle“ wieder. Der arme Knabe war inzwischen noch weiter hinabgesunken. Nur die beiden Arme verhinderten, dass er ganz versank. Mit Hilfe der Leitern und tatkräftigem Anpacken konnte man den Unglücksraben befreien. Wir hatten einen Schutzengel, denn wenn auch ich tiefer eingesunken wäre, dann hätte uns der Schlamm wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen verschluckt. Schreien hätte auch nichts genützt, denn weit und breit war keine Menschenseele, die uns gehört hätte. Wir wären wohl auf Nimmerwiedersehen untergetaucht, und niemand hätte gewusst, wo man die Ausreisser finden könnte. Noch heute schaudert es mich bei diesem Gedanken.

Ich, der Hühnerdieb
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13.  Ich, der Hühnerdieb
Da wir einen grossen Gemüsegarten unser eigen nannten, half ich, etwa 6jährig, meiner Mutter fleissig beim Bepflanzen desselben. Jäten war nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber das musste halt auch sein. Viel lieber pflanzte ich Setzlinge ein und begoss sie fleissig. Zu meinem Leidwesen drangen aber immer wieder Nachbars freilaufende Hühner in unseren Garten ein, der nicht eingehagt war. Wir selber hatten auch Hühner, die aber nicht herumstreunten, sondern sich in einem Gehege aufhielten. Ich fand das sehr ungerecht, dass Nachbars freilaufenden Hühner unseren Garten umpflügten. Und so packte ich eines Tages – von niemandem bemerkt – eines dieser Hühner und sperrte es unter einem Harass hinter der Scheune ein. Es wurde von mir so quasi in Geiselhaft genommen. Ich gab ihm regelmässig Körner, Gras und Wasser. Fast täglich legte es ein Ei. Dieses kam dann zu den Eiern unserer eigenen Hühner. So bemerkten meine Eltern den Diebstahl nicht. Doch nach einigen Tagen kam die Nachbarin in unser Lebensmittelgeschäft. Ich hielt mich zufällig hinter der Ladentheke auf. Sie erzählte meiner Mutter, dass sie ein Huhn vermisse. Immer abends sperrte sie nämlich die Ausreisser in den Hühnerstall ein. Wieso, dachte ich, macht sie einen solchen Aufstand wegen eines einzigen Huhns?! Sie besass ja – nach meiner kindlichen Naivität – Hunderte. (Es waren aber tatsächlich etwa ein Dutzend). Doch bei mir regte sich das schlechte Gewissen, und ich entliess das arme Geschöpf in die Freiheit. Viel später beichtete ich meine Schandtat den Eltern.



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Nachbars Huhn in Geiselhaft: täglich ein Ei 

Unser Schulhaus
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14.  Unser Schulhaus



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Das alte Schulhaus in Gettnau LU


Unser Schulhaus hatte 6 Klassenzimmer und eine Turnhalle. Zuunterst, hinten im Gang, gab es eine Türe, die stets verschlossen war. Über der Türe stand "Dusche". Was bedeutete das? In all den Jahren blieb sie immer verschlossen. Wahrscheinlich wurde sie nie benützt. Im Erdgeschoss gab es eine kleine Turnhalle, die aber nur bei schlechtem Wetter benützt wurde, sonst fanden die Turnstunden im Freien statt. Fast jedes Jahr war die Turnhalle während 3 Wochen durch WK-Soldaten belegt. Die Halle, ausgestattet mit Stroh, diente den Wehrmännern als Schlafstätte. Bei Regen fielen dann halt unsere die Turnstunden aus. Auch hatte das Schulhaus Sonnenstoren. Diese aber funktionierten längst nicht mehr. Heute gibt es doch einen geflügelten Satz: "Hattest du in der Schule einen Fensterplatz?", wenn einer in gewissen Fächern nicht sattelfest ist. Vielleicht hat er ja auch ein wenig zuviel Sonne erwischt.

Während eines eines Gottesdienstes, den ich in der 1. Klasse besuchte, habe ich mal geschwatzt, den Nachbarbuben geboxt (der natürlich zurückboxte), aber nur während des Orgelspiels. Denn ich wusste, dass unser Lehrer als Organist oben auf der Empore seines Amtes waltete. In der Schule rief er mich dann nach vorne, und zur Strafe musste ich im Schulzimmer in der Ecke niederknien. Wie lange, das weiss ich nicht mehr. Jedenfalls kam es mir sehr lange vor. Was mich aber erstaunte, wieso wusste der Lehrer, dass ich mich ungebührlich aufgeführt hatte?! Nur während des Orgelspiels war ich unartig. Des Rätsels Lösung: an der Orgel war ein Rückspiegel befestigt. So sah der Organist jederzeit, was sich unten in den Bänken abspielte. Aber erst ein paar Monate später, als ich mir die Orgel mal anschaute, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich stand mit dem Unterstufenlehrer ohnehin des öftern auf Kriegsfuss, denn ich fühlte mich von ihm ungerecht behandelt. Beispielsweise, als ich mal einen Schluckauf „Hitzgi“ hatte. Er schimpfte mich, ich solle sofort aufhören damit, ich störe den Unterricht. Aber je mehr ich mich bemühte, ruhig zu sein, desto häufiger gluckste ich. Der Lehrer schickte mich vor die Türe mit der Bemerkung, ich könne dann wieder reinkommen, wenn ich ruhig sei. Später – bei einer Klassenzusammenkunft – habe ich ihm das damalige Erlebnis vorgehalten, an das er sich natürlich nicht mehr erinnern konnte.  

In unserer Klasse gab es einen Schüler, der schwachbegabt war. Vor allem das Lesen und Schreiben machte ihm grosse Mühe. Trotz aller Anstrengungen des Lehrers, ihm das Lesen und Schreiben beizubringen: Buchstaben waren für diesen Schüler ein Buch mit sieben Siegeln. Statt Lesbares zu schreiben, kritzelte er undefinierbare Zeichen ins Heft. Der Lehrer konnte das Gekritzel nicht entziffern, wollte aber den Schüler nicht entmutigen und fragte ihn. „Was heisst das?“ „Channsch jo läse“, antwortete der erstaunte Schreiber. Er verstand die Welt nicht mehr. Ein Lehrer, der nicht mal lesen konnte?!

Viel besser gefiel es mir dann in der 3. und 4. Klasse bei einem andern Lehrer. Der akzeptierte mich so, wie ich war. Bei ihm lernte ich fleissig. Ich glaube, dass ich der einzige war, der in den 2 Schuljahren bei ihm keine Ohrfeige oder "Tatze" bekam. Dieser Lehrer war auch sehr begabt im Zeichnen und Malen. So gestaltete er einige grosse Plakate für unsere Schaufenster-Dekoration. In der der 3. Klasse hatte ich in den Hauptfächern eine Zeugnisdurchschnittsnote von 6,0, das Jahr darauf 5,8.  

Bei diesem Lehrer durften wir auch mit Lehm modellieren. Unter seiner kundigen Anleitung entstanden Aschenbecher, kleine Blumenvasen und Figürchen verschiedenster Art. Zum Brennen brachte er sie in die Ziegelei ausserhalb unseres Dorfes. Dort kamen sie, zusammen mit den Ziegeln, in einen riesigen Brennofen. Dieser wurde dann zugemauert. Nach etwa 2 Tagen und bei einer Hitze von über 1000 Grad wurde die Mauer aufgebrochen. Gross war dann jeweils die Spannung und Freude wenn wir die gebrannten Ton-Kunstwerke in Empfang nehmen konnten. Wir durften sie dann bunt bemalen und glasieren.

 

(2) Darauf war ich stolz: Alles Sechser in den Hauptfächern

Faszination Grammophon
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15.  Faszination Grammophon

Meine älteste Schwester war eine Zeitlang im Laden als Verkäuferin tätig. So kam sie mit vielen Kunden in Kontakt. Von einem Ladenbesucher erfuhr sie, dass er ein Grammophon besass. Es war ein Gerät, das man mit einer Handkurbel aufziehen musste. Der Ton von 78-Touren-Schallplatten kam via Nadel über einen Trichter. Da meine Schwester von irgendwem einen Englisch-Schallplattenkurs bekommen hatte, fragte sie, ob der Kunde ihr diesen eine Zeitlang leihen könne. Aber der Vater durfte nichts davon wissen, denn er hätte dies sicher als Zeitverschwendung empfunden. So brachte sie sich klammheimlich in ihrem Zimmer einige Grundkenntnisse der englischen Sprache bei. (In der Sekundarschule gab es damals kein Englisch- sondern nur das Französischfach). Uns Buben weihte sie in das Geheimnis ein, und wir waren von diesem Wundergerät fasziniert. Irgendwie kamen wir in den Besitz einer Ländler-Musikscheibe und hörten das Musikstück immer und immer wieder. Später erwarben wir dann ein Tonbandgerät, mit dem man aus dem Radio beliebige Musikstücke herunterladen und aufnehmen konnte. Und noch etwas später kam der Walkman auf, mit dem man sogar über ein Mikrophon unsere Stimmen aufnehmen und Sprache und Musik über einen Kopfhörer mobil Musik hören konnte.



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 Ab 78-Touren-Grammophonplatten gab's Musik und sogar einen Englischkurs

Leseratte
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16.  Leseratte

Ab der dritten Klasse durfte man in der Bibliothek jeweils am schulfreien Donnerstagnachmittag Bücher aussuchen. Dazu muss man wissen, dass sich die Bibliothek im Pfarrhaus befand. Und kein geringerer als der Pfarrer himself beurteilte, welche Literatur altersgemäss für die Schüler „richtig“ war. Ich benötigte manchmal zwei Bücher. So teilte er mir immer ein religiös gefärbtes Buch zu. Dazu durfte ich auch ein neutrales, beispielsweise ein Sachbuch, einen Krimi oder sonst eine Abenteuerliteratur auswählen. Ein Buch ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. An einem regnerischen Sonntag zog ich mich nach dem Gottesdienst zuhause auf den oberen Teil des Kachelofens zurück und las „Trotzli der Lausbub“, ein altersgerechtes Jugendbuch, 150 Seiten stark. Also verschlang ich es, nur unterbrochen durch das Mittagessen. Bis zum Nachtessen hatte ich es fertig gelesen.

Es gab damals noch kein Fernsehen, geschweige denn Handys oder Tablets. Da waren die Bücher ein wertvoller Begleiter in der Freizeit und regten die Fantasie an. Auch "SJW"- Heftchen (Schweizerische Jugendschriftenwerk) gab es damals. Wir durften alle Jahre eines über die Lehrer bestellen. Natürlich tauschten wir sie untereinander aus.



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Eines meiner ersten Bücher aus der Bibliothek


Als ich älter war interessierte mich auch anspruchsvollere Literatur querbeet: Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer, Jeremias Gotthelf, Wilhelm Busch, Carl Zuckmayer, Leo Tolstoi, Johann Wolfgang von Goethe um nur einige zu nennen. Irgendwann kaufte ich mir ein Aufklärungsbuch, da wir weder in der Schule noch zuhause aufgeklärt wurden.

Meines Wissens erschien Ende der 50er Jahre die Jugendzeitschrift "Bravo". Sie behandelte allgemeine Jugendthemen und vor allem auch die Sexualität und leistete so grosse Aufklärungsarbeit. Unser Pfarrer wetterte gegen diese"Schundhefte". Als Respektsperson mischte er sich in alle Belange der Dorfbevölkerung ein. Früher oder später waren wir dann doch aufgeklärt, aber zuhause war es kein Thema.

Malheur in der Bäckerei
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17.  Malheur in der Bäckerei
Hin und wieder musste ich in der Bäckerei (unser Dorf mit damals 600 Einwohnern hatte 2 Bäckereien) das tägliche 1- oder 2-kg-Ruchbrot holen. Das Kilo kostete 57 Rappen. Es war nicht selten, dass sich im Schaufenster eine Katze aufhielt. So konnte es vorkommen, dass halt mal ein 15er Stückli (eine 15-Rappen-Patisserie) Bissspuren aufwies. Ein Werbeplakat im Schaufenster pries „Hartes Brot ist nicht hart, aber kein Brot, das ist hart“. Der Bäckermeister buk in einem Holzofen, den er – mit einem an einer langen Stange befestigten Lappen – im Dorfbach schwenkte (es konnte schon mal vorkommen, dass Kehricht oder gar ein Tierkadaver angeschwemmt wurde). Mit diesem Lappen fegte er den Backofen. Die Hitze machte machte das Ganze wieder steril. Manchmal blieben die Brote auch etwas zu lange der Hitze ausgesetzt, die schwarze Kruste wurde einfach weggeschabt.
Ein Ereignis, das ich selber miterlebt habe, blieb mir bis heute haften: Da wollte ein Kunde im Bäckersladen Mehl kaufen. Dieses befand sich aber in einem Regal das die Bäckersfrau nicht erreichen konnte. Deshalb nahm sie einen 5-Kilo-4-Frucht-Konfitüre-Kessel und stand mit einem Bein darauf, um das Mehl-Paket herunterzuholen. Das gelang ihr zwar, aber der Deckel des Kessels gab nach. Der Schuh brach ein, so dass er und ein Teil des Unterschenkels eine klebrige Masse abbekam. Deckel drauf, ein wenig zurecht gebogen, war die Konfitüre wieder verkaufsbereit.

Unsere Dorfstrasse war Teil des Strassennetzes Luzern-Bern. Es gab ja noch keine Autobahnen und sehr wenig Verkehr. Im Winter, wenn sich Eis auf der Fahrbahn gebildet hatte, konnten wir darauf Schlittschuhlaufen. Und den wenigen Autos wichen wir halt aus.

An einem Sommer-Sonntagnachmittag nahm ein Sohn des Bäckers das grosse Portemonnaie, das fürs Brotaustragen diente, band eine Schnur daran fest und legte es auf die Strasse. Wir versteckten uns hinter einem Gebüsch und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Tatsächlich näherte sich schon bald ein Auto mit Berner Kennzeichen, der Fahrer stoppte vor dem Geldbeutel und stieg aus. Er bückte sich. In diesem Moment wollte der Bäckersjunge an der Schnur ziehen und das Portemonnaie zurückziehen. Aber der Berner war schneller, stampfte mit dem Schuh darauf, und die Schnur riss. Vonwegen langsame Berner! Er stieg ins Auto und brauste davon. Für den Bäckerjunior setzte es eine Tracht Prügel ab, denn der Geldsäckel war ein täglich benutzter lederner und daher wertvoller Gebrauchsgegenstand, der bei der täglichen Tour beim Brotaustragen gebraucht wurde.



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Geldsäckel für die Brottour 


 

Aufsätze auf dem Kamin
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18.  Aufsätze auf dem Kamin

Da unser Haus 4 Kachelöfen hatte, war der Kamin entsprechend gross. Ich konnte bequem darauf sitzen und liegen. Vom Estrich aus gelang ich jeweils über die Mansarde auf das Dach. Der Kamin war hin und wieder mein bevorzugter Lieblingsort, wenn ich allein sein wollte. Hier störte mich niemand, und die Eltern konnten mich nicht finden. Es entstanden einige Aufsätze, sitzend oder liegend auf dem Kamin. Zwar waren meine Kleider dann ein wenig verrusst, aber das war mir egal. Hauptsache, ich war ungestört und konnte schreiben und träumen. Manchmal braucht man einen Rückzugsort. Dass es gerade das Hausdach war, könnte vielleicht gefährlich wirken. Aber bei nassem Wetter ging ich natürlich nicht aufs Dach. Turnschuhe wären von Vorteil gewesen, aber das hatten wir nicht. Am besten gings barfuss.



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Auf einem solchen Kamin konnte ich sitzen und liegend schreiben


Mit einem Schulkollegen – ich glaube es war im Jahr 1953 – schlenderte ich einmal die Dorfstrasse hinauf. Trottoirs gab es noch keine, und so wich man an den Strassenrand aus, wenn halt mal ein Auto daherkam. Und diesmal kam eines, nein sogar zwei. Das vordere Auto wollte nach links abbiegen, denn es hatte den Zeiger ausgeschwenkt. Blinker gab es damals noch nicht. Man musste im Auto bei einer Richtungsänderung der Zeiger von Hand betätigen. 



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Die Autos hatten Zeiger statt Blinker


Also, das hintere Auto setzte zum Überholen an, dann krachte es. Der Fahrer des vorderen Autos fragte uns, ob wir gesehen haben, dass er nach links abbiegen wolle. Wir bejahten. Er bat uns, vor Gericht als Augenzeugen aufzutreten, denn er zeigte den fehlbaren Autofahrer an. Einige Zeit später mussten wir unsere Aussagen bezeugen und erhielten einen Zeugenlohn von einigen Franken. Wir fanden, das war leicht verdientes Geld.

Unmusikalisch
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19.  Unmusikalisch
Normalerweise ist das erste Instrument, das man in der Schule lernt, die Blockflöte. Aber in den Fünfzigerjahren gab es bei uns keinen Musikunterricht. Wer das löchrige Instrument erlernen wollte, musste zu einem Lehrer in den Privatunterricht. Mein Freund Eugen tat dies. An schulfreien Nachmittagen besuchte er beim Unterstufenlehrer den Flötenunterricht, Kostenpunkt pro Stunde 50 Rappen, bar auf die Hand. Anschliessend versuchte er, mich mit seiner Blockflöte die Tonleitern beizubringen. Ich versagte kläglich. Schon der Versuch, alle Löcher zuzudecken, klappte nicht. Irgendwann fanden wir, dass es ein aussichtsloses Unterfangen war.

Viel später, in der Kantonsschule mussten wir im Musikunterricht die verschiedenen Tonleitern lernen. Auch hier war ich völlig unbegabt. Ich schrieb mir die Tonleitern auf den rechten Zeigefinger, und wenn ich an der Wandtafeln beispielsweise die C-Dur-Tonleiter aufschreiben musste, konnte ich sie bequem ablesen. Die halbe Klasse wusste es, aber der Musiklehrer hat es nicht bemerkt. Wenn wir ein Lied singen mussten, bei dem beispielsweise der Rektor oder Inspektor anwesend waren hiess es, ich solle bitte nicht mitsingen, sondern nur so tun als ob, also den Mund lautlos bewege. Das war schon in der Primarschule so. In der Kirche habe ich trotzdem mal lauthals mitgesungen und mir dabei beide Ohren zugehalten. Am Schluss des Liedes war ich es dann, der die 2 letzten Töne herauspresste, als das Lied bereits zu Ende war. Natürlich lief ich rot an, als mich alle anstarrten.


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Grosse Wäsche
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20.  Grosse Wäsche

Da in unserem Haus nur in der Küche ein Kaltwasseranschluss und ein Steintrog vorhanden waren, wurde lediglich die Handwäsche dort erledigt. Zweimal im Jahr gabs dann eine Grosswäsche mit heissem oder warmem Wasser. Dazu musste am Brunnen vor dem Haus eine Kaltwasserleitung angeschlossen werden. Die Leitung bestand aus mehreren 2 Meter langen Röhren, die ineinander geschraubt und das Wasser zu einem Schuppen geführt wurde. In einem mit Holz befeuerbaren Waschherd wusch man Leintücher, sonstige Bett- und Unterwäsche und Kleider. Mühsam wurde die Wäsche von Hand ausgewunden und dann auf einem gespannten Seil im Freien aufgehängt. Dieses führte von Baum zu Baum, dazwischen mit Stickeln gestützt (Holzträger). Wenn die Sonne schien, trocknete die Wäsche gut, aber falls es regnete, und das kam öfters vor, blieb sie hängen bis es trockeneres Wetter gab. Wetterprognosen gab es zu dieser Zeit höchstens für einen Tag. Da schaute man eher auf Bauernweisheiten und Naturereignisse. Unglücklicherweise kam es hin und wieder vor, dass ein Bauer in der der Nähe Jauche ausführte, was dem Frischgewaschenen nicht unbedingt zuträglich war.


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 In einer solchen "Waschmaschine" wurde die Kochwäsche gewaschen.

Hausmetzgete
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21.  Hausmetzgete
Im Stall mästeten wir von Zeit zu Zeit 2-3 Schweine. Jeweils im Herbst war Metzgete angesagt. Ein Kundenmetzger kam vorbei. Zuerst mussten wir das Wasser zum Schuppen führen (genau wie bei der Grosswäsche). Eingefeuert wurde in den Waschherd, so dass heisses Wasser verfügbar war. Eine Sau zu metzgen war immer ein grosses Erlebnis. Zwar tat mir das arme Tier leid, aber ich wusste, dass wir dadurch wieder eine Zeitlang zu essen hatten. Nach einem Schuss wurde dem geschlachteten Tier das Blut entnommen. Die Gedärme wurden mit gekochtem Wasser gereinigt. Der Metzger füllte sie mit Brätmasse, und es gab dann feine Blutwürste. Auch Leber- und Bratwürste, mit seinem Geheimrezept gewürzt, stellte er her. Für jedes unserer Kinder stellte der Metzger eine dem Alter entsprechend grosse Wurst her. Aber auch alle Teile, von den Haxen bis zum Schwänzchen, vom der Leber bis zum Gnagi wurden verwertet. Die Schweinshaare brannte man mit Sprit ab, und so wurden sämtliche Teile fürs Kochen zubereitet. Da wir keinen Kühlschrank besassen, räucherte man die Fleischstücke oder beizte sie ein, damit sie länger haltbar waren.



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 Alles, was ein Schwein hergibt: Hausmetzgete




 

Salzverkauf-Monopol
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22.  Salzverkauf-Monopol
In unserem Dorf waren wir die einzigen, die Salz verkaufen durften. Es herrschte bis in die 50er-Jahre hinein ein staatliches Monopol. Aus offenen 50-kg-Jutesäcken wurden je nach Wunsch der Kunden 1 oder 2 Kilo davon in Papiersäcke abgefüllt. Die unserem Haus gegenüberliegende Käserei benötigte natürlich ganze 50-Kilogramm-Säcke. So kam jeweils ein Käsergeselle, buckelte den Sack über die Strasse. Manchmal durfte ich von der Rampe aus auf den Salzsack klettern und wurde mit diesem transportiert, was mir immer grosse Freude bereitete. Manchmal bat mich der Käser, ihm Zigaretten zu bringen, Parisienne, 80 Rappen das 20er Päckli. Er gab mir dann jeweils einen Franken, und die geschenkten 20 Rappen landeten im Sparschwein.

Auch die 2 Franken, die ich beim Kartoffelauflesen im Herbst bei einem Bauern pro Tag erhielt, vertraute ich meinem Kässeli an. Wenn dieses dann einen genug grossen Inhalt Münzen beherbergte, ging ich zur Kantonalbank, allwo der Bankbeamte das Kässeli öffnete, genau zählte und den entsprechenden Betrag handschriftlich ins Sparbüchlein eintrug.
Kaninchen zu verkaufen
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23.  Kaninchen zu verkaufen
Im Hühnergehege hielten wir auch Kaninchen. Diese legten unterirdisch ein weitläufiges Höhlensystem an. Von Zeit zu Zeit kamen sie mit einer Schar Nachwuchs aus den Löchern. Schnell gedeihten jeweils die Häschen. Eines Tages erzählte mein älterer Bruder in der Schule, man könne bei uns günstig Kaninchen kaufen, zu 50 Rappen pro Stück, etwa 2 Kilo schwer. Die Nachricht verbreitete sich schnell im Dorf. Zusammen fingen wir die Hasen ein. Sie gingen weg wie frische Weggli. Abends zeigte mein Bruder die Einnahmen freudestrahlend dem Vater. Dieser war aber wenig erbaut über die 6 Franken Einnahmen. Es hätte ein Mehrfaches sein können. Für uns aber bedeuteten 6 Franken ein kleines Vermögen. Daraus hätte man 120 5-er-Möcken kaufen können.



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Was damals ein 5er-Mocken war, kostet heute 20 Rappen 


Eine weitere Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen, bot sich durch das Einfangen von Maikäfern, und zwar wie folgt: In den 50er Jahren gab es alle paar Jahre eine Maikäferplage. Die gefrässigen Tiere richteten vor allem an den Bäumen grosse Schäden an. Später werden daraus Engerlinge, die vor allem die Wurzeln von Pflanzen fressen und in grosser Zahl ganze Wiesen vernichten. Mit etwas Geschick konnte man sie leicht fangen. Einer meiner Mitschüler besserte sein Taschengeld damit auf, indem er den lebendigen Maikäfern den Hinterteil abbiss. Aber nur wer bereit war, ihm 10 Rappen zu zahlen, durfte dabei zuschauen.

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Unsere Gemeinde setzten eine „Kopfprämie“ für das Einsammeln dieser Insekten aus. Millionenfach traten die Plaggeister auf und überfielen die Laubbäume, die bald blattlos dastanden. Frühmorgens, sobald es das Tageslicht erlaubte, schwärmten wir Kinder – bewaffnet mit Leitern, Kesseln und Tüchern – in die mit Bäumen bewachsenen Gegenden aus. Unter den mit tausenden von Maikäfern befallenen Bäumen breiteten wir die Tücher aus. Der mutigste Maikäfer-Jäger kletterte hoch und schüttelte an den Ästen bis die Käfer herunterfielen. Da sie noch schliefen, konnte man sie einsammeln und in die Kessel legen. Damit sie nicht herauskriechen konnten, legten wir einen Deckel drauf. Wir brachten die für uns kostbare Fracht zum Gemeindehaus. Dort wurde das Gewicht ermittelt (pro Kilo gab es glaub ich 20 Rappen). Mit kochendem Wasser wurden die Maikäfer verbrüht. Ein bestialischer Gestank war die Folge. Ich glaube, sie wurden dann als Tierfutter verwendet, denn sie waren sehr eiweissreich. Mit den Jahren nahm der Bestand ab, und die Biester traten dann nur noch in den sogenannten „Maikäferjahren“ auf, meines Wissens alle vier Jahre.

 


 

Mysteriöses Glockengeläute
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24.  Mysteriöses Glockengeläute

Im Unterdorf steht eine spätgotische Kapelle aus dem Jahre 1504. Das Bauwerk mit dem steilen Dach und dem nadelschlanken Türmchen hat eine Länge von 10.2 m und eine Breite von 4.7 m. Gleich neben der Kapelle wohnte ein Huf- und Wagenschmied. Er und seine Frau waren kinderlos und adoptierten einen Knaben, Aurelio. Dieser war jederzeit für einen Streich zu haben und war unser Anführer. So weihte er  mich und einige andere Buben in einen Geheimplan ein. Er hatte es auf das Türmchen respektive auf die darin aufgehängte Glocke abgesehen. Der Sigrist dieser Kapelle wohnte in einem Haus gegenüber im dritten Stock. Immer wieder kam es vor, dass Lausbuben am Glockenstrang zogen und kurz läuteten. Dann stürmte der betagte Sigrist herunter, konnte aber die Missetäter nie fassen.
Aurelio kletterte in der Kapelle in den Dachstuhl hinauf, befestigte eine Schnur an der Glocke und warf sie über das Dach. Wir packten sie, versteckten uns hinter dem nahegelegenen Hühnerhaus und zogen, bis es läutete. Natürlich dauerte es nicht lange, bis der Sigrist in die Kapelle stürmte. Man kann sich vorstellen, dass er die Welt nicht mehr verstand. Wie von Geisterhand ging der Strang in der Kapelle auf und ab. Bald flüchteten wir, und er erwischte uns nicht. Man kann sich vorstellen, dass das Geläute zum Dorfgespräch wurde.


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Mysteriöses Glockengeläut in der altehrwürdigen Kapelle 

Zurück zum Schmied. Dieser reparierte in seiner Werkstatt alle Arten von defekten landwirtschaftlichen Fahrzeugen. An einer Esse schmiedete er glühende Eisen. Den Pferden, die zu ihm geführt wurden, verpasste er neue Hufe. Ausserdem schweisste und lötete er Werkzeuge und Maschinen. Auch hölzerne Wagenräder zu bereifen war seine Spezialität. So legte er Metallreifen in die Esse bis sie glühten. Er presste sie darauf auf die Holzräder bis sie satt sassen. Das Holz fing dann an zu brennen. Schwupps eilte er mit dem Rad zum nahegelegenen Dorfbach, so dass das Feuer erlosch. Für mich war es immer wieder ein Erlebnis, diesem Ereignis zuzuschauen.

Eines Tages gab es in der Schmiede eine heftige Explosion, die Scheiben der Werkstatt klirrten und der Meister lag blutüberströmt bewusstlos am Boden. Er hatte mehrere Verletzungen und blutete stark. Als Erster kam Aurelio dazu, sah dass aus einem Bein stossweise Blut herausspritze. Geistesgegenwärtig nahm er seinen Gurt und band das Bein ab. Die Ambulanz brachte den Verletzten ins Spital. Wahrscheinlich wäre er verblutet, wenn Aurelio nicht rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre. Der Verunfallte erholte sich, hinkte aber zeitlebens, war aber gesund und konnte auch seinen Betrieb wieder weiterführen. 

Arm gebrochen
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25.  Arm gebrochen
1951 (ich war in der 3. Klasse) wurde unser Ladengeschäft umgebaut. Handwerker waren tätig, und ein grösseres Schaufenster musste her. Zu diesem Zweck installierte der Maurer ein Baugerüst. Ich klettere hin und wieder, verbotenerweise – wenn ich mich unbemerkt fühlte – auf diesem Gerüst herum. Eines Tages fiel ich runter und landete unsanft am Boden, direkt auf den linken Arm. Das war sehr schmerzhaft, und der Unterarm schwoll nach kurzer Zeit bedenklich an. Niemandem erzählte ich davon und biss tapfer auf die Zähne. Nachts konnte ich keine Minute schlafen. Der Arm tat höllisch weh.

Anderntags, kurz vor Mittag, beichtete ich den Eltern den Vorfall. Mit dem Zug fuhr ich in die Nachbargemeinde, da es in unserem Dorf keinen Arzt gab. Dieser stellte ein Armbruch fest und gipste ihn ein. Eine Zeitlang musste ich den Arm in einer weissen Schlinge tragen, bis mich der Arzt nach einigen Wochen von diesem Fremdkörper befreite. Die weisse Schlinge und der Verband über dem Gips waren übrigens schon nach wenigen Tagen nicht mehr weiss, sondern unansehnlich verdreckt. So bekam ich eine neue Schlinge – in schwarz. Diese war viel schmutzunempfindlicher, aber ich schämte mich dafür.


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 Armbruch tut weh, solange er nicht eingegipst wird

Beim Coiffeur
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26.  Beim Coiffeur
Bis zur 4. Klasse liessen ich und die meisten meiner Kollegen die Haare bei einem Kleider-Schneider schneiden. Kostenpunkt: 50 Rappen. Er kehrte einen Stuhl, so dass man die Arme über die Lehne hängen konnte. Ab der Oberstufe ging man dann ins Städtchen Willisau zu einem "richtigen" Coiffeur. Beim ersten Mal schärfte mir meine Mutter ein, die Haare kurz schneiden zu lassen, nicht dass ich nach einem Monat bereits wieder hingehen müsse. Das tat ich dem Coiffeur kund. Er setzte die Elektroschere im Nacken an und fuhr mitten über meinen Schädel. Ich hielt den Atem an. So war das meines Erachtens nicht gemeint. Er rasierte mich mich bis auf etwa 2 Millimeter kahl. Dann hatte er noch die Frechheit, einen höheren Preis zu verlangen, denn dieses Kahlscheren hätte, so behauptete er, einen Mehraufwand bedeutet. Ich schämte mich und trug von da an immer eine Kappe. Zum Glück war es winterlich kühl. In der Schule weigerte ich mich hartnäckig, die Kopfbedeckung abzunehmen. Nach mehrmaliger Aufforderung, die Mütze zu entfernen, gab es der Lehrer auf. Im Frühling waren dann die Haare wieder einigermassen nachgewachsen.



(1) Nicht ohne meine Mütze


 

Entgleist
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27.  Entgleist
An einem Sonntagnachmittag schlenderten einer meiner Schulfreunde und ich in das Gebiet der Ziegelei. Dort baute man Lehm zur Herstellung von Ziegeln ab. Auf Schmalspurgeleisen wurde der Lehm mit kleinen Schienenfahrzeugen zur Fabrik gefahren. Da am Sonntag nicht gearbeitet wurde, war weit und breit niemand anzutreffen. Wir stiessen ein leeres Lehm-Eisenbahnwägelchen einige hundert Meter die leichte Steigung hinauf. Oben angekommen, kletterten wir auf auf das Fahrzeug. Dieses setzte sich langsam in Bewegung, gewann dann aber bald an Fahrt. Vor Angst sprangen wir noch rechtzeitig vom Gefährt. Dieses gewann weiter an Geschwindigkeit und entgleiste in der nächsten Kurve. Nicht auszudenken, wenn wir noch darauf gesessen hätten. Ausser ein paar kleinen Schürfwunden kamen wir mit dem Schrecken davon. Natürlich erzählten wir niemandem von unserem missglückten Abenteuer.



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 Transport von Lehm auf dem Schienenweg in die Ziegelei





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Auffahrts-Prozession
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28.  Auffahrts-Prozession
Seit dem 16. Jahrhundert wurden am Auffahrtstag jeweils im Mai in vielen katholischen ländlichen Gemeinden Prozessionen durchgeführt. Dieser religiöse Brauch führte im Luzerner Hinterland auf einer Länge von 16 Kilometern entlang der Gemeindegrenzen von Ettiswil, Kottwil und Gettnau, nachher wieder zurück nach Ettiswil. 1959 nahm ich auch an diesem Anlass mit einem Pferd teil. Begleitet wurde die Prozession von berittenen Musikanten. Als Tambour konnte ich nicht mitmachen, aber auf einem Pferd ritt ich mit dem Kreuz hinter einer Fahne und vor den Musikanten her. Da die Prozession bereits am Auffahrtstag im Mai um 6 Uhr in Ettiswil startete, musste ich – der noch nie auf einem Pferd geritten war – zuerst bei meinem Onkel in Ohmstal (3 Kilometer von zuhause weg) um 5 Uhr in der Früh ein Pferd abholen. Damit begann nach meinem 6 Kilometer langen frühmorgendlichen Ritt von Ohmstal über Gettnau nach Ettiswil die Prozession. Erst am Mittag gab es eine Pause, und schon ging es wieder weiter. Am späten Nachmittag ritt ich das Pferd wieder zurück zu meinem Onkel. Ich konnte kaum mehr stehen, meine Beine waren rund, müde und schmerzten. Trotzdem war ich am Montag bereits wieder an meinem Arbeitsplatz. Der Indianer kennt keinen Schmerz.



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Prozession mit Kreuz, Fahne und berittener Musik



 

2-Tage-Pässefahrt
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29.  2-Tage-Pässefahrt
Ein Nachbarsbub fragte mich, ob wir an einem Pfingst-Wochenende mit dem 3-Gang-Velo über die Pässe Schöllenen, Furka, Grimsel und Brünig fahren wollten. Natürlich war ich sofort begeistert. Wir machten uns keine Gedanken, wo wir die Nacht verbringen würden. Am ersten Tag absolvierten wir die Strecke bis zum Fusse des Furkas. Nach langem Suchen fanden wir einen Heuschober, in dem wir übernachteten. Anderntags bewegten wir den grössten Teil der Furkastrasse das Fahrrad stossend, bergaufwärts. Die Strasse war damals noch nicht asphaltiert, das Hinterrad drehte bei starken Steigungen auf dem Schotter durch. Oben auf den Pässen erwarteten uns beidseits der Passstrasse 3 Meter hohe Schneemauern. Der Verkehr wurde stundenweise wechselseitig geführt, so dass beim Herunterfahren kein Gegenverkehr zu erwarten war. Wir düsten mit hoher Geschwindigkeit talwärts. Zum Glück versagten die Bremsen nicht, aber sie liefen heiss an. Nach der rasanten Abfahrt nahmen wir die Steigung zum Grimsel, der gottseidank asphaltiert war, in Angriff. Via Brünig ging es heimwärts, wo wir todmüde ankamen.



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Von einem solchen modernen Velo konnten wir nur träumen 




 

Ich als Verleger und Mitredaktor
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30.  Ich als Verleger und Mitredaktor
Gemeinsam mit ein paar Schulkollegen gründeten wir einen Jugendklub (ähnlich einer Pfadigruppe). Wir trafen uns an schulfreien Nachmittagen und sonntags. Los gings mit Abenteuern im Freien und in Wäldern. Ich fand, wir brauchten auch ein Klubheft, in dem wir über unsere Abenteuer berichten und kommende Anlässe ankündigen konnten. Aber wie drucken? In einem Katalog der Bürofirma Häusler-Zepf in Olten fand ich das Bild eines Vervielfältigungsapparates, der auf der Basis von mit Farbe beschichteten Papieren (ähnlich Pauspapier) mit einer Art Sprit Abzüge herstellen konnte. Wir legten unsere Mitgliederbeiträge zusammen, und ich bestellte den Apparat, der gegen 100 Franken kostete. Ein Vertreter brachte den Apparat mit dem Zug und staunte nicht schlecht, als ihn anstelle unseres Vaters ein Oberstufenschüler empfing. Der Vertreter erklärte mir und meinem jüngeren Bruder den Apparat. Auf einer Schreibmaschine verfassten wir im Klub Erlebtes. Es war aber eine Fehlinvestition, denn nach kurzer Zeit war uns das Schreiben und Vervielfältigen zu umständlich, und wir gaben das Vorhaben auf.
Sternzeichen Fisch
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31.  Sternzeichen Fisch
Da ich Sternzeichen Fisch geboren wurde, hatte ich wahrscheinlich schon früh eine Beziehung, ja eine Liebe zum Wasser. Natürlich gab es in unserer Gemeinde keine Badi. Wir planschten in der gestauten Luther, einem Fluss der nördlich unserer Gemeinde dahinfloss. Von Schwimmen konnte keine Rede sein, denn es gab niemanden, der uns angeleitet hätte. Später ging ich nach Willisau, wo es ein Freibad gab. Leider hatten männliche Besucher nur am Dienstag und Freitag Zutritt, da Geschlechter getrenntes Baden angesagt war. Montag und Mittwoch durften weibliche Gäste baden. Donnerstags und an Wochenende gab es Gemeinschaftsbaden, aber da durften wir nicht hin. Obwohl anfänglich des Schwimmens unkundig, wagte ich schon früh Sprünge vom Brett. Ich tauchte unter und "marschierte" mit Armen und Beinen paddelnd zum Beckenrand. Dort robbte ich mich irgenwie nach oben. Nach und nach gelangen mir die ersten Meter schwimmend. Als ich immer besser schwimmen konnte, wurde ich mutiger und ging auch in Seen baden.



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Aalglatt: der Fisch, kaum zu fassen 



 

 

 

Geheim-Alphabet und Geheimtinte
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32.  Geheim-Alphabet und Geheimtinte
Mein grösserer Bruder und ich entwickelten ein Geheim-Alphabet, das aus verschiedensten Elementen bestand und für den man einen entsprechenden Schlüssel brauchte. Nur wir beiden kannten ihn. Was wir unserem Tagebuch anvertrauten, ging ja niemanden was an. Alles, was uns bewegte, schrieben wir in der Geheimsprache auf. Natürlich dauerte das Schreiben etwas länger, denn hin und wieder mussten wir doch im Schlüssel nachschauen. Aber mit der Zeit konnten wir das Geschriebene leicht entziffern. Ein jähes Ende nahm unser Alphabet, als mein Bruder in die Kantonsschule kam und das griechische Alphabet und überhaupt die griechische Sprache erlernen musste. Kein Geringerer als unser Pfarrer verbot es uns, fortan das Geheim-Alphabet zu verwenden. Viele unserer Geheim-Buchstaben sahen nämlich dem griechischen Alphabet nicht unähnlich. 

Damit man Briefe, die ich mit meinem Freund austauschte, nicht entziffern konnte, wandte ich eine andere Taktik an. Wohl schrieb ich mit gewöhnlicher Schnürlischrift, verwendete aber dabei eine unsichtbare Geheimtinte. So konnte niemand sehen, was ich schrieb. Beim Freund angekommen, nahm dieser ein „Gegenmittel“, will heissen, einen mit einer speziellen Tinktur getränkten Wattebausch, der dann das Geschriebene sichtbar machte. Umgekehrt besass auch ich die entsprechende Tinktur, um die an mich geschriebenen Briefe lesen zu können.
Parlez-vous français
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33.  Parlez-vous français
Fremdsprachen interessierte mich schon immer. Vor allem das Französische hatte es mir angetan. In der Mittelschule hatten wir einen Professor, der an der Academie française studiert hatte. Er brachte uns nicht nur die Sprache sondern auch die französische Lebensart näher. Schon nach kurzer Zeit wollte ich mein Französisch anwenden und war gespannt, ob es klappen würde. So sagte ich zu meiner grossen Schwester, die schon einige Jahre Französischunterricht genossen hatte: "Tu es paressaux". Päng, da hatte ich eine Watsche. Somit wusste ich, dass es mit dem Sprachverständnis klappte. Der Französisch-Dozent fragte uns auch mal: "Was heisst 'œuf, œuf que lac je?'". Natürlich "ei, ei, was see (seh) ich".  Solche Episoden bleiben einem haften.  

Ein anderer Professor – ein Neffe meiner Mutter – gab uns Deutschunterricht. Um zu zeigen, dass er seinen Cousin nicht bevorzuge, nahm er mich mehr als die andern "dran", das heisst, oft musste ich Gedichte rezitieren. So zum Beispiel die Ballade "Der Glockenguss zu Breslau" oder "Nis Randers", welche ich heute noch auswendig kann. Er lockerte die Lektionen auch mal mit einem Witz auf. Er sagte mal: "Wisst Ihr wie man Willisauer Ringli macht?" Pause. "Man nimmt ein Loch und tut Teig drumumen." Früher gingen die Bäcker zum Stadtbrunnen und hielten das Blech mit dem Ringli-Teig unter das Wasser. Es gab zwei Hersteller: der eine pries seine Ringli "Ursprungshaus der Willisauer Ringli" an, der andere "Urechte Willisauer Ringli".


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Willisauer Ringli vor dem Backen 


An die ersten elektronischen Lichtschranken kann ich mich auch noch gut erinnern. Die Städtchen-Metzgerei hatte als automatische Türöffner Lichtschranken. Wenn wir Schüler an der Metzgerei vorbeigingen, konnten wir es uns oft nicht verkneifen, kurz die Hand an den Lichtwerfer zu halten. Dadurch wurde der Lichtstrahl unterbrochen, und die Glastüren öffneten sich. Sehr zum Missfallen des Ladenpersonals. Aber es war für uns einfach fasziniert, wie sich das Ganze wie von Geisterhand abspielte. Kindsköpfe?

Zahnschmerzen
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34.  Zahnschmerzen

Um unsere Zahnhygiene stand es schlecht. Bis zur Oberstufe kannten wir weder Zahnpasta noch Zahnbürste. Die Gattin des Unterstufenlehrers brachte – da sie aus Basel stammte und Beziehungen zur dortigen Pharmaindustrie hatte – Zahnpasta-Müsterchen in die Schule. Inzwischen hatte ich schon einige Zähne mit Löchern. Von Zahnschmerzen geplagt, ging ich kurzfristig nach Willisau zum Zahnarzt. Der Assistent, ein Ungar, untersuchte die Zähne und stellte an der linken Seite des Unterkiefers zwei Zähne mit Löchern fest, die mir diesen unglaublichen Schmerz bereiteten. Da es kurz vor Mittag war, schaute er auf die Uhr und sagte, er müsse die beiden nebeneinander stehenden Zähne ausreissen. Und bevor ich es richtig realisierte, waren sie – ausgerissen. Somit kam er noch rechtzeitig zum Mittagessen. Nicht nur dass ich dann noch längere Zeit Lochweh hatte, von da an konnte ich nur noch auf der rechten Seite kauen. Diese grosse Zahnlücke sollte mich später noch viele tausend Franken kosten.


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Unsere erste Zahnpasta

Eine Sensation: das Fernsehen
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35.  Eine Sensation: das Fernsehen

In den 50er-Jahre, hiess es, es gebe Geräte, mit denen man Geschehnisse, die in weiter Ferne passieren, von zuhause aus verfolgen könne. Und tatsächlich: ich erfuhr, dass im nahen Städtchen so ein Gerät installiert sei. Ein Kollege und ich radelten an einem Sonntagnachmittag dorthin, ins Restaurant Bahnhof. Es lief ein Windhunderennen, natürlich in Schwarzweiss. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich ein Orangina bestellte. Wir starrten etwa eine Stunde lang auf den Bildschirm. Nicht, dass mich Hunderennen interessiert hätten, aber das Wissen, dass dort in einer Ortschaft weit weg, so was live passierte, faszinierte mich. 

Ich glaube, es war um 1958 herum, hätten wir uns zuhause auch so einen Fernseher gewünscht. Ich fuhr nach Luzern und fand in einem Geschäft ein Occasions-Gerät, das nicht allzuviel kostete. Es war an einem Samstagnachmittag, und da der Ladenbesitzer das Geschäft nach meinem Kauf ohnehin schloss, anerbot er sich, das Gerät mit dem Auto zu liefern – 35 Kilometer Autofahrt. Er installierte bei uns zuhause eine provisorische Antenne, setzte sich in unserer Stube aufs Sofa und prüfte den Schweizer-Sender und stellte ihn ein. Es wurde gerade ein Fussballmatch übertragen. Der Verkäufer harrte etwa eine Stunde bis zum Schlusspfiff aus. Natürlich gab es noch kein Farbfernsehen. In der Zeitung tauchte einmal die Frage auf ob man eigentlich schwarzweiss oder farbig träume. Ich hatte dann mal einen Traum, in dem ich von einem Farbfernseher träumte, der Traum war natürlich – farbig.


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Radio und Fernseher kombiniert in 
einem Gerät.

Mächtige Zeitungslobby
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36.  Mächtige Zeitungslobby
Buchdruckerei-Besitzer und Zeitungsverleger verfügten bis in die 70-er Jahre über eine unglaubliche Macht. Sie hatten das Monopol über Nachrichten und Meinungen. Radio und später auch das Fernsehen durften nur eingeschränkt Nachrichten verbreiten. Radio Beromünster war den Zeitungsverlegern ein Dorn im Auge. Nachrichten gab es meines Wissens nur um 7.00, 12.30, 19.30 und 22.00 Uhr. Dafür existierten unzählige Tages-, Lokal- und Wochenzeitungen. Bis in die Jahre1950/1960 erschien beispielsweise die NZZ (Neue Zürcher Zeitung) 3mal täglich(!). Es gab eine Morgen-, Mittag- und Abendausgabe. Am Wochenende druckte die NZZ eine Fernausgabe auf dünneres Papier (wegen der Portokosten). In Luzern konnte man in dieser Zeit 4 Tageszeitungen, drei parteipolitisch ausgerichtete und eine neutrale kaufen.

In den 50er Jahren galt für die Druckereien noch eine Preisbindung, das heisst, die Drucksachen kosteten überall gleich viel, es herrschte also praktisch kein Wettbewerb. Als dann so um 1958 herum der sogenannte Offsetdruck aufkam, konnte man viel schneller drucken. Bei diesem indirekten Druckverfahren kommen die Druckplatte und der Druckträger nicht miteinander in Berührung. Die Farbe wird erst auf einen Gummizylinder und dann auf das Papier übertragen. So wird die Druckplatte geschont. Betrug die Druckgeschwindigkeit beim Buchdruck so um die 4000 Stück in der Stunde, so erreichte man im Offsetdruck 8000 Exemplare. Die findigen Druckereibesitzer wandten aber den Buchdrucktarif an, was einen höheren Gewinn bedeutete. Irgendwann fiel dann die Preisbindung, und damit spielte der Wettbewerb.
Eignungsprüfung für Schriftsetzer und Buchdrucker
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37.  Eignungsprüfung für Schriftsetzer und Buchdrucker
Ohne Berufsberater entschloss ich mich, den Beruf des Schriftsetzers zu ergreifen. Bevor man sich aber für eine entsprechende Lehrstelle bewerben konnte, musste man eine Eignungsprüfung ablegen. Zugelassen zu Schriftsetzer- und Buchdrucker-Berufen waren zu jener Zeit nur männliche Bewerber. Erst später konnten vorerst mal die Töchter von Prinzipalen (Druckereibesitzern) diese Berufe erlernen. Die Eignungsprüfung dauerte einen ganzen Tag lang und wurde in meinem Fall 1956 in Luzern durchgeführt. Da ich erst zweimal in Luzern war (einmal auf der Schulreise und einmal beim Besuch des Lehrbetriebes meiner Schwester in Luzern), kam mein Vater mit. Da strömten aus den Kantonen Luzern, Schwyz, Unter-/Obwalden und Zug ungefähr 150 Sekundar- und Kantonsschüler herbei. Neben schulischen und praktischen Tests – beispielsweise galt es, möglichst viele Kügelchen mit einer Pinzette von einem Glas ins andere zu transportieren – wurde man auch medizinisch auf Herz und Nieren geprüft. Vom Wasserlösen bis zum Stetoskop-Husten musste man sich sämtlichen relevanten Checks unterziehen. Als der Arzt mir mit dem Gummihammer auf die Kniescheibe schlug und das Bein nach oben schnellte, wusste ich nicht, ob das normal sei und glaubte schon, die Untersuchung nicht bestanden zu haben. Aber es ging alles glatt vonstatten. Mit einer Note von 1,2 für Schriftsetzer und 1,6 für Buchdrucker war ich also scheinbar bestens geeignet für meinen Wunschberuf.


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Winkelhaken mit Bleibuchstaben vor einem Setzkasten 

Harte Lehrjahre
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38.  Harte Lehrjahre
Dass man nicht auf mich gewartet hatte, merkte ich bald bei der Suche nach einer Lehrstelle. Für die ungefähr 150 Lehrstellen-Suchenden gab es nur etwa 40 Lehrstellen. Im Umkreis von 16 Kilometern meines Dorfes gab es damals lediglich ein einziges Angebot. Auf dieses bewarb ich mich. Zum vereinbarten Zeitpunkt fuhr mein künftiger Lehrmeister, Druckereibesitzer und Zeitungsverleger, mit einem Chevrolet vor. In unserer Stube prüfte er mich. Aber anscheinend war er nicht abgeneigt, mich anzustellen (schliesslich hatte ich als Bester bei der Eignungsprüfung abgeschnitten). Als er mich fragte, ob ich im Dorf seines Lehrbetriebes ein Zimmer nehmen werde und dies verneinte „ich komme mit dem Velo“ meinte er, das traue er mir nicht zu. „Blondhaarige sind meistens Weichlinge“. Das solle er mir überlassen, dachte ich. Und ich schwor mir, keine einzige Nacht während der 4-jährigen Lehrzeit in diesem 16 Kilometer entfernte Dorf zu übernachten, was ich dann auch – ob bei Regen oder Schnee, bei minus 20 Grad oder 30 Grad Hitze – auch einhielt.

An den ersten Tag kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es war der 1. Mai 1957, ein frischer Morgen. Frohgemut radelte ich durch die Dörfer, stellte fest, dass der Arbeitsweg doch einigermassen anstrengend wird und kam rechtzeitig um halbacht an meiner künftigen Lehrstelle an. Ungewohnt war, dass ich den ganzen Tag stehen oder gehen musste, nicht wie bisher in der Schule. Das Mittagessen nahm ich jeweils in einer Konditorei ein: eine Apfel- und eine Aprikosenwähe, je nach Saison auch je eine Apfel- und Kirschenwähe. Kostenpunkt Fr.1.80. Am Mittwoch gab es dann eine Wurstwegge mit Salat. Nach 2 Jahren hatte ich die Wähen sowas von satt. Ich suchte mir eine günstige Beiz mit abwechslungsreicherer Kost. Abends kam ich um halb sieben meist todmüde zuhause an. Vier lange Jahre standen mir bevor. Ob ich das verkrafte (mit meinen blonden Haaren)? Im ersten Jahr betrug mein Lehrlingslohn 20 Franken in der Woche und steigerte sich jährlich um 5 Franken. 

Einmal wöchentlich besuchte ich die Gewerbeschule in Luzern. 2 Franken kostete mich das Essen: Fr. 1.80 das günstigste Menü an der Stehbar im Warenhaus Epa. Zur Znüni- und Zvieripause gönnte ich mir je 1 Mutschli zu 10 Rappen. Sparsamer gehts nicht.

An den Gewerbe-Schultagen musste ich bereits auf den 6.30-Uhr-Zug. Als ich einmal knapp dran war und den Schienen entlang Richtung Bahnhof eilte, kam mir der VHB-Zug (Vereinigte Huttwil-Bahnen) entgegen und verlangsamte die Fahrt. Der Lokführer schob das Fenster herunter und fragte mich: „Weit Ihr o no riite?“ (Wollen Sie auch noch mitfahren?) und stoppte den Zug kurzerhand, damit ich noch einsteigen konnte.


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Die Vereinigten Huttwil-Bahnen existieren heute nicht mehr  


Ein Mitschüler kaufte sich im Jahr 1960 vor dem Gewerbeschul-Besuch in Luzern am Kiosk den "Playboy" für schätzungsweise 3 Franken, was damals viel Geld für eine Zeitschrift bedeutete. Wir durften dann auch ein paar Seiten anschauen, so dass sich die Investition doch noch gelohnt hat.



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Eigentlich recht harmlos, aber Ende der 50er Jahre ein Skandal, wer sowas anschaute.


Bei der theoretischen Lehrabschlussprüfung gab es auch das Fach "Manuskriptlesen". Dabei wurde geprüft, ob man die deutsche Schrift lesen könne. Diese wurde zwar im Jahre 1941 abgeschafft, aber viele ältere Leute schrieben sie damals noch, auch mein Vater.


(3) Alphabet der deutschen Schrift

Alphabet der deutschen Schrift

 Wer hätte gedacht, dass an einer Lehrabschlussprüfung für Schriftsetzer folgende Fragen beantwortet werden müssten: Was ist ein Hurenkind und ein Waisenkind? Es bedeutet, dass die letzte Zeile eines Absatzes, die fehlerhaft alleine am Anfang einer neuen Kolumne, also am Anfang einer neuen Seite steht. Hurenkinder stören den Lesefluss und gelten als unvorteilhaft für die Ästhetik eines Schriftsatzes. Und der Begriff Waisenkind  bedeutet: die letzte Zeile eines Absatzes darf niemals am Anfang einer neuen Kolumne stehen.

Muba-Besuch mit dem Velo
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39.  Muba-Besuch mit dem Velo
Im ersten und zweiten Lehrjahr musste ich auch am Samstagmorgen arbeiten. Erst ab dem dritten Lehrjahr kam ich in den Genuss der 5-Tage-Woche. Es galt die Bude zu reinigen und Papierkörbe zu leeren. Am Mittag kam ich dann nach 32 Kilometern Velofahrt zuhause an. An einem ebensolchen Samstag fragte mich mein Freund ob wir mit dem Velo die Muba (Mustermesse) in Basel besuchen wollen. Sein Onkel wohne dort am Rheinknie, und wir könnten bei ihm übernachten. Nichts wie los. Wir konsultierten eine Landkarte. Sie zeigte uns den Weg.  Über den Hauenstein-Pass fuhren wir Richtung Basel. Es waren ungefähr 75 Kilometer! Am Abend kamen wir völlig übermüdet beim Onkel und seiner Frau an. Gerade begeistert war sie nicht. Die Messe besuchten wir am darauffolgenden Tag nur kurz. Wir lösten eine Basler Tram-Tageskarte. Dank dieser erkundeten wir einen Teil der Stadt. Aber schon bald machten wir uns wieder auf den Heimweg.



 

Alltag als Lehrling
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40.  Alltag als Lehrling

Sobald ich jeweils in der Bude ankam, gehörte es im ersten Lehrjahr zu meinen Aufgaben im Keller den Ofen einheizen, der das ganze Haus mit Wärme versorgte. Nachdem ich das Feuer jeweils entfacht hatte, musste ich in gewissen Abständen wieder Kohle einfüllen. Später wurde dann eine Zentralheizung installiert. Diesem winterlichen Einfeuern trauerte ich keine Minute nach.

Dass man als Schriftsetzer mit Bleibuchstaben zu tun hatte, war mir klar. Aber dass alles seitenverkehrt in Spiegelschrift daherkam, war anfänglich doch eine Herausforderung. Ich musste die aus Blei gegossene Buchstaben in einen so genannten Winkelhaken legen, den ich in der linken Hand hielt, während ich mit den Fingern der rechten Hand die einzelnen Buchstaben/Zeichen aus dem Setzkasten griff. Auch gab es nicht das Dezimalmass, sondern eine 12er-Einheit, genannt Cicero.

Im Hinblick auf die Zwischenprüfung, die nach 2 Jahren anstand, musste ich viel üben, galt es doch, in einer Stunde 1500 Buchstaben zu liefern. Bis dahin war noch ein weiter Weg. Zudem mussten im Alltag eigentlich nur die Titel von Hand gesetzt werden, der eigentliche Text bestand aus Maschinensatz, auf der Setzmaschine hergestellten Bleizeilen. Um beim Handsatz mehr Routine zu bekommen, nahm ich einen Holzsetzkasten mit nach Hause. Täglich kam nach und nach ein ganzes Alphabet Bleibuchstaben samt Interpunktionen dazu. Auf einem selbstgebastelten Holzgestell, schräg aufgestellt, montierte ich den Setzkasten und übte schnelleres Setzen, da ich in der Bude kaum Gelegenheit dazu hatte. 


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Holzsetzkasten mit Bleibuchstaben. Die Grossbuchstaben sind alphabetisch angeordnet, die Kleinbuchstaben und Interpunktionen nach der Häufigkeit des Gebrauchs.


Ich musste bald produktiv schaffen, das heisst, Inserate für die Wochenzeitung zusammensetzen und sogenannte Akzidenzen (Geschäftsdrucksachen aller Art) ausführen. Schon bald machte ich den Umbruch – das Zusammenstellen der Zeitungsseiten – weitgehend selbständig. Für den Druck auf der Schnellpresse, ein Druckungetüm der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, Jahrgang 1922, musste ich das Zeitungspapier aus dem Keller zur Maschine hoch schleppen. Das Papier war dann wegen des Temperaturunterschieds elektrisch geladen. Dadurch erfassten die Greifer der Druckmaschine manchmal mehrere Bogen, was natürlich zu Druckunterbrüchen führte. Die Elektrizität  der Zeitungsbogen entlud sich aber meistens am aufgehängten Christbaumschmuck. Auch der Versand oblag mir, das heisst, ich musste die druckfrischen Zeitungen abzählen und bündeln gemäss einer Abonenntentenliste je nach Ortschaft und Poststelle. Mit einem Anhänger brachte ich sie jeweils am Freitag zur Bahn. Wenn aber die Druckmaschine wieder mal streikte, musste ich wegen der Verspätung mit dem Veloanhänger alle Poststellen in einem Umkreis von etwa 10 Kilometern bedienen, damit die Abonnenten ihre Wochenzeitung noch gleichentags oder am Samstagmorgen erhielten. Die Druckformen musste ich nach Druckende auseinandernehmen. Die Bleizeilen landeten in einem Kübel. Diesen schweren Kessel schleppte ich die Stufen hinab in den Keller allwo, die Bleizeilen in einem 220 Grad heissen Ofen landeten. Das flüssige Blei floss dann über einen Hahnen in eine Stangenform. Diese Bleistangen wurden in der Setzmaschine aufgehängt und dort in einem Metallkübel verflüssigt und wieder zu Zeilen gegossen. Einmal hatte ich wegen der schlechten Durchlüftung des Kellers eine leichte Bleivergiftung mit Magen-Darmkrämpfen. In der Gewerbeschule lernten wir, in einem solchen Fall viel Milch zu trinken, damit das Blei im Körper gebunden wird?! Jedenfalls war ich nach einem schmerzreichen Tag wieder geheilt.

Ich als Aquisiteur
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41.  Ich als Aquisiteur

In den 50er und 60er Jahren war es Brauch, dass die Angehörigen eines Toten sogenannte Leidbildchen machen liessen. Die Vorderseite bestand aus einem Foto des Verstorbenen, die Rückseite enthielt nebst dem Namen und dem Geburts- und Todesdatum meist einen frommen Spruch. Aus der Zeitung konnte man dank der publizierten Todesanzeigen erfahren, wer das Zeitlich gesegnet hat. Wenn aus dem Einzugsgebiet des Lehrbetriebes einige Zeit nach der Beerdigung der genannten Personen keine Bestellung in der Druckerei eintraf, „durfte“ ich am Abend auf dem Heimweg die Trauerfamilien besuchen und die Kollektion mit Mustern an möglichen Trauerbildchen aquirieren. Zuerst solle ich der Trauerfamilie kondolieren und dann höflich fragen, welches Sujet sie möchten. Pro erfolgreichem Abschluss erhielt ich dann ein Trinkgeld. Mit den Fotos der Verstorbenen musste ein Cliché hergestellt werden, damit das Bildchen gedruckt werden konnte. Vielfach war mir kein Erfolg beschieden, sei es, weil mir ein anderer zuvorgekommen war oder ganz einfach kein passendes Foto des Verstorbenen vorhanden war. Einmal, als ich mich in einem Dorf nach einer entsprechenden Adresse erkundigt hatte, hiess es, der Bauernhof sei sehr abgelegen, ich solle mich im nächsten Weiler wieder nach dem Weg erkundigen, was ich dann auch tat. An der gesuchten Adresse endlich angekommen hiess es, der Hof sei vor einiger Zeit abgebrannt und damit auch ein Foto des Verblichenen. Etwa um 8 Uhr abends kam ich dann frustriert zuhause an.

Für eine Pharmafirma produzierten wir in der Druckerei Beipackzettel. Diese auf speziell dünnem Papier hergestellten Patienteninformationen mussten mehrmals gefalzen werden damit sie in die Tablettepackungen passten. Diese Handarbeit lagerte man in ein nahegeleges Gefängnis aus. Eines Tages meldete die Pharmafirma, es fehlen einige hundert Anweisungen. Intensive Nachforschungen ergaben dann, dass ein Häftling diese beiseite geschafft hatte. Frischfröhlich drehten einige Insassen daraus Zigaretten!

Im Jahr 1960 fiel der 1. April auf einen Freitag, also auf einen Tag, an dem die Wochenzeitung erschien. Wir hatten uns einen besonderen Gag ausgedacht, um die Leser in den April zu schicken. Wir kündigten in der Vorwoche in der Zeitung an, am 1. April lande im Gelände ausserhalb des Dorfes nachmittags um 3 Uhr ein Helikopter, was zur damaligen Zeit noch ein aussergewöhnliches Ereignis bedeutete. Man bitte die werte Bevölkerung, die Abschrankung zu beachten. Zur angekündigten Zeit fanden sich dann einige Dutzend Leute ein. Anstatt eines Helikopters sahen sie aber nur ein Plakat, auf dem mit grossen Lettern stand: April, April!

In meiner Freizeit lernte ich trommeln. Unmusikalisch wie ich war, aber der Rhythmus lag mir immerhin im Blut. Und so war ich einige Jahre Mitglied der Musikgesellschaft Gettnau.


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Fastnachtsumzug in Willisau 1959, ich als einer der Tambouren

 

Sterbende Tante
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42.  Sterbende Tante
1959 erkrankte unsere Tante schwer. Als man sah, dass es mit ihr zu Ende ging, versammelte sich unsere Familie um das Sterbebett. Unsere Gotte, so haben wir sie immer genannt, war bereits bewusstlos und atmete schwer. Plötzlich tat sie einen tiefen Atemzug – und es herrschte Stille. Mich erschütterte dieser Tod, denn ich hatte noch nie einen Menschen sterben sehen. Wir beteten und kümmerten uns schon bald um alles Organisatorische, unter anderem auch über den Text der Leidzirkulare. Es war an einem Samstagnachmittag, als ich zu meinem Lehrbetrieb fuhr und die Todesanzeige mit Einzelbuchstaben setzte, immer das Bild der sterbenden Tante vor Augen. Ich war immer noch erschüttert, als mir mein Chef kondolierte und gleichzeitig fragte, ob wir nun erben könnten. Ich fand das sowas von pietätlos. Ich war einfach sprachlos. Wie konnte man im Angesicht des Todes derart respektlos sein. Er druckte die Todesanzeigen und ich fuhr traurig nach Hause, immer noch das Bild der sterbenden Tante vor Augen.

R.I.P.
Mit 150 km/h über die Autobahn
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43.  Mit 150 km/h über die Autobahn

Als erste Autobahn der Schweiz gilt die am 11. Juni 1955 eröffnete Ausfallstrassae Luzern Süd. Diese erstmals kreuzungsfrei ausgeführte vierspurige Strasse diente der Umfahrung von Horw und sollte die Stadt Luzern schneller mit den Innerschweizer und den Berner Touristenorten verbinden. Sie führte vom heutigen Anschluss Luzern-Kriens nach Ennethorw und dient heute noch als vierspurige Umfahrung der Gemeinde Horw. 1958 konnte mein Freund, der Automechanker lernte, bereits mit 16 Jahren die Fahrprüfung ablegen. Sein Vater besass einen Citroen ID, ein für damalige Verhältnisse futuristisches Auto. So galt es für uns, dieses auf der oben erwähnten Autobahn zu testen. Es gab damals noch keine Geschwindigkeitsbeschränkungen, weder innerorts, ausserorts noch auf Autobahnen. Sicherheitsgurten kannte man nicht. Es war eindrücklich zu erleben, wie man mit Vollgas, ohne Gegenverkehr befürchten zu müssen, losbrausen konnte. Mein Freund drückte das Gaspedal kräftig nach unten bis zur zur Marke 150 km/h. Dazu muss man wissen, dass die Autobahn nicht etwa schnurgerade aus ging, sondern eine weiträumige Kurve beschrieb. Aber die sensationelle Marke Citroen, die damit Reklame machte, dass ein gefüllter Becher auch in einer Kurve keinen Tropfen verliere, machte dieser Aussage alle Ehre. Es war wirklich, wie man auf Wolken schweben würde. Glücklich landeten wir wieder in unserem Dorf, und ich muss heute noch staunen, dass der Vater meines Freundes ein so grosses Zutrauen zu seinem Sohn hatte.


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Mit 150 Sachen über die erste Autobahn: Citroen

Stressige Autofahrprüfung
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44.  Stressige Autofahrprüfung
Sobald ich 18 Jahre alt war, nahm ich Autofahrstunden. Jeweils am Morgen um 6 Uhr – bevor ich zur Arbeit ging – fuhr der Fahrlehrer vor. Es war faszinierend Gas und Bremsen zu betätigen und mit Leichtigkeit durch die Landschaft zu fahren. Nach 8 Fahrstunden (zu 14 Franken) fand ich, ich sei prüfungsreif, was aber der Fahrlehrer bezweifelte. Wir übten nur ein einziges Mal in der Stadt Luzern, wo auch die Prüfung stattfand. Der Experte hiess mich, mitten durch die Stadt zu fahren, durch enge Gassen und über Brücken, das Wesemlin hinauf, anhalten und wieder bergwärts parkieren. Rückwärts ging dann wider herunter. Längst nicht alles gelang, und vom seitwärts Parkieren will ich gar nicht sprechen. Die Prüfung fiel entsprechend mangelhaft aus. Aber der Fahrlehrer beteuerte dem Experten, das ich fahrtüchtig sei und meinte, das sei nur die Nervosität. Der Prüfungsexperte drückte ein Auge zu und übergab mir den begehrten Ausweis. Aber ich müsse noch 2 Fahrstunden nehmen. Mit dem Fahrlehrer fuhr ich dann die gut 30 Kilometer von Luzern nach Willisau, womit die 2 Stunden abgegolten waren.



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Auf einem solchen Opel mit Steuerradschaltung lernte ich Auto fahren und fuhr mit ihm an die Fahrprüfung

 

Mit 20 Jahren an die Inspektion
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45.  Mit 20 Jahren an die Inspektion
18jährig nahm ich bereits an der Aushebung teil, denn ich hatte ein Gesuch gestellt, damit ich mit 19 Jahren die RS vorverlegen könne. Ich wurde der Infanterie zugeteilt. Trotzdem man damals nur einen Tag lang geprüft wurde und es noch keine psychischen Prüfungen gab, haben alle 120 Rekruten die ganze RS absolviert, nicht wie heute, da fast jeder dritte vorzeitig wegen physischer oder psychischer Problem(chen) ausscheidet. Gleich nach der Lehre absolvierte ich 1961 die Rekrutenschule in Luzern. Es war erst die zweite RS, welche mit dem Sturmgewehr 57 ausgerüstet wurde. Vorher kannte man nur den Karabiner. Wir wurden eingehend mit dem Sturmgewehr vertraut gemacht. Das Auseinandernehmen, Reinigen und wieder Zusammensetzen – auch mit verbundenen Augen – ging uns in Fleisch und Blut über.Da ich ein guter Sturmgewehrschütze war, bekam ich auch noch eine Ausbildung am Zielfernrohrkarabiner. Wir mussten auch scharfe Handgranaten werfen. Zu diesem Zweck kauerten wir  – neben uns der Herr Leutnant – hinter einer Mauer, entschärften die Granate und warfen sie über die Mauer. Einem meinem Kameraden rutschte nach dem Entschärfen der Helm nach vorne, er stiess ihn mit dem entschärften Geschoss nach oben und warf die Granate über die Mauer. Sie explodierte noch in der Luft. Das war knapp und trug dem Rekruten einen scharfen Verweis ein.

Im Jahr darauf wurde ich zur militärischen Inspektion aufgeboten. Natürlich war ich der Jüngste. Die meisten Mitkameraden, die inzwischen erst einen WK mit dem Sturmgewehr absolviert hatten, kamen nach dem Auseinandernehmen und anschliessendem Zusammensetzen schlecht zu Schlage. Ich half, wo ich konnte, denn Bolzen und Federn flogen nur so durch die Luft der Turnhalle, in der die Inspektion stattfand. 



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Das Sturmgewehr Stg57
Besuch im Tessin
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46.  Besuch im Tessin
Zusammen mit einem Gewerbeschule-Kameraden machten ich mich in den Ferien eines Tages auf gegen Süden. Per Autostopp, ausgerüstet mit einem Rucksack, gings mehr oder weniger flott über den Gotthard nach Lugano. Ich hatte mir extra einige Italienisch-Wörter angeeignet. An einem Kiosk wollte ich meine Sprachkenntnisse ausprobieren und sagte zu Verkäuferin: "Un litro di latte per favore". In breitestem Züridüütsch antwortete sie: "En Liter Milch möchted Si?". Gegen Abend suchten wir etwas ausserhalb der Stadt eine Schlafgelegenheit. Nach langem Suchen fanden wir ein Gehöft. Beim Bauern fragten wir nach einem Nachtlager im Stroh. Er war erst skeptisch und fragte "Zurigo?". "No, Lucerna", antwortete wir. Da gab er uns die Erlaubnis, bei ihm zu übernachten. Eine Pferdedecke schützte uns vor der Kälte. Geschlafen haben wir kaum, denn das Strohlager war etwas gewöhnungsbedürftig. Der Bauer hatte scheinbar mit Zürcher Jugendlichen schlechte Erfahrungen gemacht. Aus dem nahegelegenen Zeltplatz hatten ihm jugendliche Halbstarke immer wieder Rüebli und Früchte gestohlen. Irgendwie fanden wir mit Glück und langen Wartezeiten wieder den Zuhausewg.



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Un litro die latte 


Gautschete
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47.  Gautschete
Nach dem Lehrabschluss stand die Gautschete an. Dieser uralte Brauch, den frischgebackenen Berufsmann mit einem Kübel Wasser zu taufen und anschliessend in einen Brunnen zu werfen, stand mir an einem nasskalten, 5 Grad Wassertemperatur aufweisenden Brunnen bevor. Die Frau des Lehrmeisters legte ihr Veto ein. Da es in den folgenden Tagen nicht nach wärmeren Temperaturen aussah, zog ich halt ohne Gautschbrief – die Bestätigung, dass ich getauft war – nach der Lehre von dannen. Die Lehrabschlussprüfung beendete ich übrigens mit der Note 1,6. Ich trat in Luzern in einem Druckereibetrieb einer Tageszeitung die Maschinensetzerlehre an.

Gleichzeitig besuchte ich abends eine Handelsschule. Um von einem System zum andern zu wechseln brauchte es einige Übung. Ein kurzes Antippen der Buchstaben reichte bei der Klaviatur der Setzmaschine. Bei der mechanischen Schreibmaschine hingegen musste man relativ kräftig drücken.



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Klaviatur einer Linotype-Setzmaschine


Die Berufskollegen fragten mich, ob ich schon gegautscht sei. "Natürlich", antwortete ich. "Dann bring uns mal den Gautschbief." Da ich diesen nicht vorweisen konnte, packten sie mich eines Tages während der Arbeit mit den Worten des Gautschmeisters: "Packt an Gesellen!" Schon langten kräftige Setzerhände zu. Lediglich das Portemonnaie konnte ich abgeben. In die Zange genommen schleppten sie mich in einen nahegelegenen Brunnen mit der Aufschrift "Kein Trinkwasser". Es war die Tränke, in dem am Viehmarkt jeweils die Kühe ihren Durst stillten. Zuerst landete ich auf einem Stuhl. Unter meinem Wertesten war ein nasser Schwamm plaziert. "Ein Sturzbad gebt obendrauf, das ist dem Sohne Gutenbergs die allerbeste Tauf", zitierte der Gautschmeister aus seinem Buch. Nicht genug damit, befahl er mich in den Brunnen zu werfen. Ich landete nicht sehr in diesem und wurde mehrmals hinuntergedrückt. Völlig durchnässt gingen wir in die nächste Beiz zu einem Umtrunk. Zum Glück hatte ich noch Reservekleider dabei, denn ich hatte geahnt, dass ich mal gepackt würde. Ein paar Tage später musste ich die ganze Abteilung zur Gautschfeier einladen, wo auf meine Kosten kräftig gebechert wurde.


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Mehrmaliges Untertauchen ins kühle Nass



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Nass, aber endlich "getauft".
Der Tod von Papst Johannes XXIII.
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48.  Der Tod von Papst Johannes XXIII.
Einer meiner Kollegen, den ich noch von der RS her kannte, rief mich im April 1963 an, ob ich Lust hätte, mit ihm im Mai ein paar Tage per Bahn nach Sizilien zu verreisen. Da ich wusste, dass einer meiner ehemaligen Gewerbeschul-Kollegen in der Schweizergarde Dienst tat, machten wir in Rom einen Zwischenhalt. Der Gardist führte uns im ganzen Vatikan herum, zeigte uns Räumlichkeiten und Orte, zu denen ein Normalsterblicher sonst keinen Zutritt hatte. Der Zufall wollte es, dass wir auf dem Petersplatz anwesend waren als Papst Johannes XXIII. am 23. Mai, anlässlich der Auffahrt, öffentlich auftrat. Es sollte sein letzter gewesen sein. Dazu aber später. 

Wir reisten dann nach Sizilien weiter und logierten in Catania in einer Jugendherberge. Schon am ersten Abend kam ein etwa 40jähriger Sizilianer zu uns und stellte sich als Arzt vor. Er  würde uns gerne kostenlos sein schönes Sizilien zeigen, und zwar mit seinem Auto. Wir waren zuerst etwas skeptisch. Jedenfalls holte er uns am andern Morgen ab. Wir fuhren zum Ätna hoch und reisten in den kommenden Tagen in der ganzen Insel herum. Gegen Ende Mai erfuhren wir, dass der Papst im Sterben liege. Wir kauften von nun an in Catania täglich den „Blick“. Vor den Schaufenstern, in denen Fernseher über das lange Dahinsterben des Papstes berichteten, bildeten sich lange Menschenschlangen. In der Nacht am 31. Mai glaubte man, er werde den 1. Juni nicht überleben. Der „Blick“, so konnte man nachträglich erfahren, hatte 2 verschiedene Druckplatten vorbereitet. Auf der einen wurde über das langsame Sterben berichtet, auf der andern stand in grossen Lettern, der Papst sei gestorben. Kurz vor Druckbeginn erkundigte man sich in der Druckerei in Zofingen anscheinend noch, wie der Stand sei. Der angefragte Reporter in Rom sagte, man könne den Tod melden, der Papst werde die Nacht nicht überleben. So prangten am 1. Juni 1963 auf der Titelseite des „Blick“ in grossen Lettern "Ein grosser Papst ist gestorben".


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Dabei sahen wir im italienischen Staatsfernsehen, dass er noch lebte. Mit dem Zug fuhren wir am 1. Juni mit besagtem „Blick“ in den Händen von Catania südwärts nach Siracusa. Die Zugspassagiere rissen uns die Zeitung aus den Händen und starrten mit ungläubigen Augen auf die Titelseite. Erst 2 Tage später, am 3. Juni 1963, schlief der Papst ein. Wir änderten unsere Reisepläne und machten auf dem Rückweg wieder einen Zwischenhalt in Rom. Eine riesige Menschenmenge erwies im Petersdom dem aufgebahrten Papst die letzte Ehre. Wir reihten uns in die lange Kolonne ein und zogen langsam am Leichnam vorbei. Da war keine Pesonenkontrolle, man musste keinen Ausweis zeigen. Ganz nah konnte man am aufgebahrten Leichnam vorbeiziehen. Es war, als würde er friedlich schlafen, eingekleidet in festlichen Gewändern. Das Ganze machte einen grossen Eindruck auf mich. Ungewollt waren wir  – ungeplant – Zeugen eines historischen Ereignisses geworden.



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Papst Johannes XXIII. am 5. Mai 1963, aufgebahrt im Petersdom in Rom

Eigenes Fotolabor
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49.  Eigenes Fotolabor
1963 konnte unsere Familie ein neues Einfamilienhaus beziehen. In der Waschküche habe ich mir ein Dunkelkammer-Labor eingerichtet. Ich kaufte mir eine Entwicklerdose, in dem ich Schwarzweiss-Negative entwickeln konnte. Auch einen Vergrösserungsapparat, Entwickler, Zwischenbad und Fixierer gehörten zu der Einrichtung. Nicht nur für mich, auch für Kollegen erstellte ich Vergrösserungen in verschiedensten Formaten. Das grösste Papierfoto entwickelte ich ab einem Schwarzweiss-Negativ in der verdunkelten Garage. Ab einer Fotopapierrolle vergrösserte ich ein wandgrosses Bild. Die Belichtungszeit dauerte über 5 Minuten. Zur Herstellung füllte ich drei Becken mit den entsprechenden Chemikalien, und mit 3 verschiedenen Schwämmen brachte ich das Bild zum Vorschein und fixierte es. Fortan schmückte es eine ganze Wand in meinem Zimmer. Ich versuchte auch Farbfotos herzustellen. Die Entwicklung wäre aber zu aufwändig gewesen. Dieses Vorhaben gab ich in der Folge auf. Die Herstellung von Farbvergrösserungen musste man den spezialisierten Betrieben überlassen. Wollte man beispielsweise ein farbiges Hochzeitsfoto herstellen lassen, war das eine sehr teure Angelegenheit.



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Ein schönes Hobby: Schwarzweissfotos selber herstellen
Unfahrtüchtiges Auto
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50.  Unfahrtüchtiges Auto
Zusammen mit meinem jüngeren Bruder legten wir unser Erspartes zusammen, um ein Occasionsauto zu kaufen. Es war auf meinen Namen eingetragen. Nur über die Wartung waren wir uns nicht immer einig. Wer ist zuständig für den Oelwechsel, wer schaut, wann die Pneus ersetzt werden müssen? Als ich eines Nachmittags mit dem Auto unterwegs war, wurde ich von der fliegenden Polizei – 2 Polizisten auf Motorrädern – gestoppt. Die abgelaufenen Pneus wurden beanstandet, sie waren fast profillos. Und dass ich den Führer- und Fahrzeugausweis nicht dabei hatte, machte die Sache auch nicht besser. Über Funk (ja, das gab es schon damals) stellten sie fest, dass das Auto nicht gestohlen sei und ich der wirkliche Besitzer war. Ich bekam nicht mal eine Busse, musste aber innerhalb 3 Tagen neue Pneus montieren lassen und dem nächsten Polizeiposten vorführen. Heute müsste man ein solches Fahrzeug auf der Stelle stehen lassen, und eine saftige Busse wäre fällig. Die Zeiten haben sich geändert.


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Opel 1954: Zusammen mit meinem Bruder kauften wir unser erstes Auto

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