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Von Hannelore Jacobi Winter 1944/45 Flucht aus Ostpreussen
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Vollendete Autobiographien: 191
 
Hannelore Jacobi
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Einkauf in Königsberg / 20.11.2020 um 12.05 Uhr
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1.
Erste Erinnerungen und Kindheit
2.
Fährbetrieb auf dem Pregel
3.
Ein Morgen bei uns
4.
Ernte und deren Lagerung
5.
Vater hat Ausgang
6.
Sommerausflüge
7.
Einkauf in Königsberg
8.
Erinnerungen an meine Schwester
9.
Sonntagsprogramm
10.
Erinnerungen an meine Grosseltern
11.
Erinnerungen an meinen Bruder
12.
Weihnachten
13.
Unsere Flucht im Januar 1945
14.
Neuanfang
15.
Primarschulzeit
Meinen Kindern und Enkelkindern.
Erste Erinnerungen und Kindheit
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1.  Erste Erinnerungen und Kindheit

Erinnerungen an meine Kindheit, Ostpreussen, Sommer 1944 

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Kindheit. Da wohnten wir noch in Ostpreussen, in einem kleinen Dorf bei Königsberg.
Im Sommer musste meine Mutter um halb vier Uhr in der Frühe aufstehen und mit ihrem kleinen Kahn schräg über den Pregel zu den Wiesen rudern. Mein Onkel war ein grösserer Bauer, der am Fluss entlang diverse Wiesen besass und da durften auch unsere beiden Kühe grasen. Von Zeit zu Zeit musste der Fluss ausgebaggert werden, damit die grösseren Schiffe bis nach Königsberg fahren konnten. Dieser Schlamm aus dem Fluss war sehr fruchtbar. Mit einem speziellen Schiff wurde der Schlamm aufgesaugt und über die Landschaft zu beiden Seiten des Flusses verteilt. Es war nur landwirtschaftliches Gebiet. Wenn eine Wiese abgefressen war, wurde nur das Gatter zur nächsten Wiese aufgemacht. Das reichte für ca. 20 Kühe über den ganzen Sommer und es war noch genug übrig, um Heu für den Winter herzustellen. Wir hatten auf unserer Flussseite nur ein paar kleine Stückchen Wiesenlandschaft gepachtet. Mein Vater mähte das Gras mit der Sense und meine Mutter musste so manches Mal mit dem Fahrrad und einer Heugabel bewaffnet dort hinfahren, um das Gras zu wenden, bis es getrocknetes Heu war. Mit einem geliehenen Pferd und Leiterwagen wurde das Heu dann später auf den Heuboden gebracht. Jeden Morgen nach 6 Uhr wurde dann die Milch abgeholt.

Fährbetrieb auf dem Pregel
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2.  Fährbetrieb auf dem Pregel

Die Milch von meinem Onkel wurde mit einem Pram, eine Art Fähre, herübergebracht. Zu beiden Seiten des Flusses stand eine Winde, mit einem dicken Seil befestigt. Das Seil lag auf dem Grund des Flusses. Der Fährmann zog dann die Fähre mit der Last hinüber. Oft waren es auch Kühe oder Ernte-Leiterwagen. Der Fährmann kaute immer Kautabak und ihr könnt euch kaum vorstellen, wie schwarz seine Zähne waren.

Ein Morgen bei uns
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3.  Ein Morgen bei uns
Wenn meine Mutter vom Melken zurückkam, weckte sie meinen Vater und machte sein Frühstück. Er arbeitete in Königsberg im Kraftwerk. Das war das Elektrizitätswerk. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als wir an das Stromnetz angeschlossen wurden und mein Vater liess mich viele Male das Licht an- und ausknipsen.
Ernte und deren Lagerung
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4.  Ernte und deren Lagerung

Wir hatten auch ein Stück Land, auf dem wir Kartoffeln anbauten. In der Erntezeit wurden die Kartoffeln, wenn sie abgetrocknet waren, sortiert. Eine Grube wurde ausgehoben und mit Stroh ausgelegt. Dann wurden die einwandfreien Kartoffeln lagenweise mit Stroh dazwischen vergraben. Dort blieben sie über den Winter und wurden im Frühjahr wieder ausgegraben. So war das Jahr hindurch immer genug Arbeit, nur im Winter gab es eine ruhige Zeit.

Vater hat Ausgang
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5.  Vater hat Ausgang

Einmal im Monat ruderte mein Vater mit einem Nachbar über den Fluss, wo mein Onkel sie schon erwartete. Dann war Skatabend angesagt. 3 – 4 km mussten sie schon noch laufen, bis sie zum Wirtshaus kamen und oft wurde es dann sehr spät, bis er dann zu Hause war. Meine Mutter hatte diese Ausflüge gar nicht gern. Wir waren drei Kinder. Meine älteste Schwester war 10 Jahre und mein Bruder 6 Jahre älter als ich. Meine Mutter musste dann alles allein erledigen, die Tiere füttern und melken und wir drei waren ja auch noch da. Ausserdem hatte meine Mutter immer Angst, wenn die Männer was getrunken hatten und dann bei Nacht und Nebel über den Fluss rudern mussten. Im Winter war es besonders gefährlich. Dann war der Fluss zugefroren. Nur am Morgen und am Abend kam der Eisbrecher und hat die Fahrrinne freigemacht. So mussten sie übers Eis laufen und wenn die Eisschicht zu dünn war, mit einem Bein in den Kahn steigen und mit dem anderen abstossen, bis sie rudern und die Fahrrinne überqueren konnten. Mein Vater war bester Laune, wenn er zurückkam. Er brachte meiner Mutter eine Tafel Schokolade ‘Sarotti Mohr’ mit und für uns Kinder Lakritzen oder Bonbons. Wir waren überglücklich, denn Süssigkeiten gab es sehr selten. Darum konnte ich auch nicht begreifen, dass meine Mutter sauer und kein bisschen dankbar war.

Sommerausflüge
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6.  Sommerausflüge

Im Sommer ruderten wir mit diversen Nachbarn zum Haff, zum Baden. Das war aber höchstens zwei Mal in der Saison. Das Haff war sehr flach und man konnte sehr weit reingehen, ehe es tief wurde. Es war feiner, gelber Sand und das Wasser war herrlich warm. Alle stürzten sich lachend und schreiend ins Wasser. Nur ich traute der Sache nicht und blieb stehen. Im Nu war ich alleine auf weiter Flur und fing bitterlich an zu weinen. Die Anderen waren ratlos und riefen, ich solle auch kommen. Aber alleine traute ich mich nicht, bis eines meiner Geschwister kam und mich holte. Wir hatten auch immer etwas zum Essen mit. Den selbst gebackenen Sonntagskuchen oder Früchte aus dem Garten.

Einkauf in Königsberg
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7.  Einkauf in Königsberg

Sehr selten fuhr meine Mutter mit dem Rad zum Stadtrand nach Königsberg, um etwas einzukaufen. Ich sass im Körbchen, der am Lenker befestigt war und durfte ab und zu klingeln. Bei einem Laden waren Gestelle am Haus entlang auf dem Bürgersteig aufgebaut. Da waren Kisten mit Obst so appetitlich, eine Frucht so schön wie die andere. So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen, ich war überwältigt. Kannte ich doch nur unseren kleinen Dorfladen, der so simpel ausgestattet war, wie u.a. mit Säcken mit Mehl oder Zucker, oder einem Fass mit Salzgurken. Ab und zu holte ich eine Milchkanne voll Malzbier, wenn meine Mutter Fisch kochen wollte. Trotz meiner Begeisterung war meine Mutter keineswegs beeindruckt. 'Das ist alles nur für die dummen Städter' meinte sie, wir haben doch auch alles im Garten. An diesem Nachmittag bekam ich mein allererstes Eis. Es war in einem spitzen Waffeltütchen und schmeckte einfach köstlich. Dann war der Sommer vorbei und es wurde kalt und ungemütlich. Meine Mutter hatte nicht mehr so viel Arbeit und mehr Zeit für uns.

Erinnerungen an meine Schwester
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8.  Erinnerungen an meine Schwester

Meine Schwester war im Herbst aus der Schule gekommen und musste ihr Pflichtjahr bei fremden Leuten im Haushalt verrichten. Sie war dort eine billige Arbeitskraft und musste dort Arbeiten erledigen, die sie zu Hause noch nie gemacht hatte. Oft kam sie nach Hause gelaufen, natürlich heimlich, um meine Mutter zu fragen, wie sie dieses oder jenes nur machen sollte. Mein Bruder und ich hatten es schön.

Sonntagsprogramm
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9.  Sonntagsprogramm

Am Sonntag gab es immer etwas Feines. Wir hatten ein Waffeleisen, welches auf dem Herdfeuer an Ringen eingehängt wurde. Wenn eine Seite fertig gebacken war, konnte man das Eisen einfach auf die andere Seite drehen. Ich war immer dabei, es war so aufregend und roch dazu so köstlich. Ein anderes Mal gab es Schmalzgebäck. Wir hatten doch im November geschlachtet. Meine Mutter streute oft Apfelstückchen in den Teig und stach dann mit einem Esslöffel Teigklösschen ab. Diese Portionen drehte sie dann im heissen Fett, bis sie hellbraun waren. Sie sahen zum Anbeissen aus. Wenn sie abgetropft waren, wurden sie noch mit Puderzucker bestreut.

Mein Bruder bekam immer den Auftrag auf mich aufzupassen, wenn wir draussen waren. Die grösseren Buben waren oft wild und einmal rannte mich einer um, worauf ich weinte. Es war aber weiter nicht schlimm. Als mein Bruder kam und fragte, warum ich weine, erzählte ich ihm, was passiert war. Als dieser Junge nun von meinem Bruder zur Rechenschaft gezogen wurde, meinte der, es wäre gar nicht schlimm gewesen. Ich erfasste sofort die Situation und fing von Neuem lautstark zu weinen an. Darauf sagte mein Bruder kampfbereit zu dem Jungen: ‘Nicht so schlimm? Du siehst doch, wie sehr sie weint!' Daraus lernte ich, dass man alles aufbauschen musste, um sich wichtig zu machen.

Erinnerungen an meine Grosseltern
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10.  Erinnerungen an meine Grosseltern

Ich erinnere mich nicht, dass mein Grossvater väterlicherseits mich jemals auf den Arm oder Schoss genommen hätte – oder mir einmal freundliche zugenickt hätte. Als wir noch zu Hause in Ostpreussen waren, lebten wir in einem kleinen Dorf nahe Königsberg.

Wir wohnten in einem flachen 8-Familienhaus. Es hiess das Fischerhaus, denn früher hatten dort nur Fischer mit ihren Familien gewohnt. Mein Urgrossvater war Fischer und bei seinen Grosseltern ist mein Vater aufgewachsen. Der Grund dafür war, dass seine Mutter, als mein Vater 1½ Jahre alt war, Zwillinge (zwei Buben) bekam und sie die Arbeit nicht bewältigen konnte. Und als dann zwei Jahre später noch eine Tochter dazukam, waren seine Eltern froh, einen los zu sein. Als halbwüchsiger Junge musste er mit seinem Opa zum Haff rudern, um Netze auszulegen und am anderen Tag, die Fische aus den Netzen rauszuholen.

Eigentlich hätte er ja zur Schule gemusst, aber der Lehrer bekam jeweils eine schöne Portion Fisch. Es gab Aale, Barsche und Zander, um die wichtigsten zu nennen. Vor unserem Haus lagen die Gärten, dahinter eine asphaltierte Strasse und dann schauten wir auf den Fluss. Es war der Pregel, der von Königsberg kommend (7 km) zum frischen Haff nochmals 7 km und weiter durch einen Kanal in die Ostsee mündetet. Als mein Vater gut 14 Jahre alt war, endete seine schöne Zeit. Seine Eltern meinten, zu Hause wäre auch genug Arbeit und er müsse heimkommen. Seine Eltern wohnten im selben Haus. Wenn mein Grossvater am Abend von der Arbeit kam (er war kein Fischer), berichtete meine Grossmutter, was die Buben tagsüber angestellt hatten. Daraufhin nahm mein Grossvater seinen Hosengurt ab und hat einen nach dem anderen verprügelt. Auch wenn jemand nichts angestellt hatte, bekam er sein Teil. Für meine Grossmutter was das Ritual immer eine Genugtuung. Und man kann sich vorstellen, wie sehr sie von ihren Söhnen geliebt wurde!!!

Als mein Vater erwachsen war, sagte er zu seinem Vater, ich werde meine Kinder nie schlagen und du wirst sehen, wie werden auch ehrliche und anständige Menschen werden. Ich habe meine Grossmutter nicht mehr kennengelernt, aber mein Vater meinte, das wäre kein Verlust für mich gewesen. Diese Grosseltern nahmen später einen Zwilling mit Familie bei sich auf. Eine Cousine war ein Jahr älter und die andere ein Jahr jünger als ich. Und diese Beiden wurden dann die Favoriten. Ab und zu spielten wir zusammen und dann gab es wohl auch mal Streit. Wie gesagt, ich war knapp sechs Jahre alt. Als die kleine Cousine einmal zu weinen anfing, nahm mein Grossvater seinen Gürtel ab. Blitzartig erfasste ich die Situation. (Ihr seht, ich war schon früher clever!)

Ich wusste, meine Eltern waren in der Scheune und sortierten Kartoffeln aus. Ich rannte um mein Leben und schrie wie am Spiess. Mein Vater kam aus der Scheune gestürzt, erkannte die Situation und kam mir entgegengelaufen. Er schob mich mit einer Hand hinter seinen Rücken und sagte, ‘nuscht, nuscht’, was soviel heisst wie ‘nein, nein’. Meine Kinder schlägst du nicht. Und dann musste mein Grossvater unverrichteter Dinge abziehen. Mein Vater nahm mich auf den Arm und drückte mich fest an sich.

Ich schluchzte nochmals laut und war glücklich. Seit dem Tag, war mein Vater mein Held und der allerliebste Mensch auf Erden. Unsere Verbundenheit und Liebe blieb bis zum letzten Tag.
Wie gut haben es heutzutage unsere Enkelkinder!!

Erinnerungen an meinen Bruder
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11.  Erinnerungen an meinen Bruder

Dann kam der Schnee und der kleine Weiher war zugefroren. Mein Bruder hatte Schlittschuhe und ich war nur das Anhängsel mit dem Schlitten. Die Buben spielten 'Fangis' und dabei konnte ich natürlich nicht mithalten. So stand ich am Rand und schaute zu. Es war kalt und ich fing an zu frieren. Da rief ich nach meinem Bruder und reklamierte. Aber mein Bruder hörte nicht oder wollt mich nicht hören. So wartete und wartete ich. Als er endlich kam, war meine Hose schon nass. ‘Ach, macht nichts’, meinte er, nachdem er die verschiedenen Hosen heruntergezogen hatte. Ich gebe dir mein Taschentuch, das kannst du reinlegen. Und damit war er wieder verschwunden, denn die Anderen riefen nach ihm. Ich stand da mit runtergelassenen Hosen, einsam und allein. Da nichts weiter passierte, machte ich mich auf den Heimweg. Es war kein richtiger Weg, nur verschneite Wiesen und Ackerland, so kam ich nur langsam mit kleinen Schritten voran. Als ich nach 10 Minuten zu Hause vor der Tür stand, schlug meine Mutter die Hände über den Kopf. Mein Hinterteil und meine Beine waren rot gefroren und eine 'Schnoddernase' hatte ich auch. Wie schön war es, in der warmen Küche, als meine Mutter mich auszog und wieder frisch angezogen hatte.

Weihnachten
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12.  Weihnachten

Und dann kam Weihnachten 1944!!! Meine Mutter meinte, in diesem Jahr gebe es keine Weihnachtsgeschenke. Aber mein Bruder, der meine Mutter schon länger kannte meinte, das sage sie jedes Jahr. Und dann gebe es doch immer etwas.

Ja – – und dann war es soweit. Die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten und was ich nie zu hoffen gewagt hätte – da stand ein Puppenwagen und darin lag eine Puppe mit Schlafaugen. Ich konnte es nicht fassen. Meine Mutter sagte, die Puppe heisse Evchen, das hätte ihr der Weihnachtsmann noch erzählt. Andächtig bestaunte ich dieses Wunder.

Leider habe ich diese Freude gerade einmal drei Wochen geniessen können. Dann mussten wir flüchten, alles kam zu einem abrupten Ende. Wir mussten alles stehen und liegen lassen und die Puppe blieb zurück. Meine Mutter meinte, es gebe wichtigere Dinge, die wir mitnehmen müssten. Und ausserdem kämen wir ja auch bald wieder zurück! (Das war dann nach ca. 50 Jahren für einige Tage). Meine Schwester, die ihr Pflichtjahr beendet hatte und nun eine landwirtschaftliche Ausbildung auf einem weit entfernten Gut machte, wurde von meinem Vater heimgeholt. Wenn wir flüchten, dann alle zusammen, meinte mein Vater.

Unsere Flucht im Januar 1945
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13.  Unsere Flucht im Januar 1945

Für mich kam sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es war so um den 20. Januar, da kam der Bescheid, wir müssten am nächsten Morgen mit Handgepäck parat sein, um vorübergehend unseren Heimatort zu verlassen. Die Front rücke näher, aber es sei kein Grund zur Beunruhigung, denn wir könnten sicherlich in kurzer Zeit wieder zurückkommen. Ich war 6 ½ Jahre alt und konnte mir nicht viel darunter vorstellen. Nun hiess es zu überlegen, was ist das Wichtigste, das wir unbedingt mitnehmen müssen. Meinen Puppenwagen und meine Puppe, die ich erst zu Weihnachten bekommen hatte, gehörten nicht dazu. Meine Mutter deckte den Puppenwagen mit einem ausrangierten Laken zu und schob ihn in unsere Scheune, wo sie ihn mit Heu zudeckte. Wenn wir zurückkämen, könnten wir ihn einfach wieder rausholen! Nachbarn bekamen den Auftrag, unsere beiden Kühe zu melken und zu füttern.

Am nächsten Morgen wurden wir von einem offenen Pferdefuhrwerk abgeholt. Es waren schon einige Frauen und Kinder zusammengekauert darin. Es war bitter kalt und schneite. Wir wohnten in einem kleinen Dorf direkt am Pregel, ca. 10 km von Königsberg entfernt. Dort kamen wir zuerst einmal in ein Barackenlager, denn das Schiff, welches uns nach Westen bringen sollte, war noch nicht da. Mein Vater hatte den Auftrag, den Transport bis nach Pillau an die Ostsee zu begleiten. Unser Schiff, die Robert Ley, war ein Luxusschiff. Es war von Adolf Hitler für ausgesuchte Persönlichkeiten für besondere ‘Verdienste’ nach dem Motto ‘Kraft durch Freude’, erbaut worden.

Dieses schwimmende Luxushotel hatte noch ein Schwesterschiff, das hiess Wilhelm Gustloff. Per Bus wurden wir von Königsberg nach Pillau gebracht. Dort erwartete uns ein alter Frachter mit nackten Planken. Dieser Frachter sollte uns auf die Ostsee bringen, wo wir von dem grossen Schiff übernommen werden sollten. Mein Vater, der nun wieder nach Königsberg zurückfahren wollte, wurde von einem Offizier zur Seite genommen. Der fragte, was er denn in Königsberg wolle? Mein Vater erzählte, wieso er überhaupt in Pillau sei. Darauf meinte der Offizier: ‘Sehn sie zu, dass sie mit aufs Schiff zu ihrer Familie kommen. Soldat können sie auch noch im Westen werden’!

So blieben wir zusammen und hatten die beste Fürsorge. Denn sobald wir aufs offene Wasser kamen, wurde es ungemütlich. Als wir aufs Schiff kamen, wunderten wir uns, warum überall so viele Wassereimer herumstanden. Nun wussten wir es!!! Der Wellengang war unbeschreiblich. Das Schiff schwankte rauf und runter. Keiner konnte sich auf den Beinen halten. Alle lagen auf den nackten Planken, möglichst in der Nähe eines Eimers. Auf dem ganzen Schiff waren kaum mehr Leute, wie Finger an einer Hand, die nicht seekrank waren. Es war grauenvoll, man würgte und würgte, dabei war der Magen leer und es kam nur noch Galle raus. Mein Vater schüttete unermüdlich die vollen Eimer über Bord und kümmerte sich um uns. Meine Mutter betete und jammerte laut: ‘Wir gehen unter, wir gehen unter!’ Als es später ein bisschen ruhiger wurde, fragte ich meine Mutter: ‘Wann gehen wir denn nun unter?’ Alle schauten mich entsetzt und strafend an. Ich war verängstigt, was hatte ich den Schlimmes gesagt? Es war doch nur, was meine Mutter die ganze Zeit befürchtet hatte!

Irgendwann kamen wir bei dem grossen Schiff an. Es war eine Angstpartie, wie wir von dem kleinen Schiff aufs grosse verladen wurden. Aber was für ein Unterschied! Die tolle Ausstattung und die Kabinen! Sie waren aber alle überladen. Zwei bis drei Personen in einem Bett. Aber die Seekrankheit war vorüber. Das Schiff fuhr ganz ruhig und wir bekamen sogar etwas zu essen. So vergingen die Tage. Die einzige Abwechslung war, sobald sich ein Flugzeug näherte, konnte das Schiff sich einnebeln, sodass wie keine gute Zielscheibe mehr waren. Das Schiff stellte die Maschine ab und wir mussten ganz leise sein. Was ich zu der Zeit nicht wusste war, dass meine Mutter und auch die anderen Frauen alle schwanger waren. Den anderen Leuten wurde eine Ausreise nicht gestattet. Als später alles zusammenbrach und sich auch die anderen auf die Flucht begaben, mit Fuhrwerken und Schlitten, war es viel zu spät. 
Es war ja tiefster Winter, die Strapazen mit den Kindern und den Alten. Dann wurden sie noch bombardiert. Dabei verloren sehr viele Menschen ihr Leben. Was wir auch viel später erfahren haben war, dass das Schwesterschiff, welches auch als Transporter eingesetzt war, mit Mann und Maus untergegangen war. Wir kamen irgendwann vor Rostock an und wurden mit kleinen Booten an Land gebracht. Wir wurden zum Bahnhof gefahren und als wir schon im Zug sassen, kam die Militärpolizei durch den Zug. Alle Männer mussten aussteigen und wurden registriert. Dann bekamen sie den Befehlt, sich als Soldat zu melden. Meine Mutter stand tausend Ängste aus, dass der Zug abfahren würde und mein Vater nicht wisse, wohin. Aber alles ging gut. Er bekam sogar einige Tage Urlaub, um uns an unseren Bestimmungsort zu bringen. Wir fuhren bis nach Schleswig Holstein. Da war Endstation.

Neuanfang
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14.  Neuanfang

Wer wollte, konnte mit Fuhrwerken ca. 20 km zu einem Ort fahren, der Wedel hiess und direkt an der Elbe lag.
Dahin wollen wir, beschloss mein Vater. Zu Hause haben wir auch an einem Fluss gewohnt. Und das war gut so, es war der beste Ort weit und breit. In Wedel befand sich auch ein Auffanglager. Dort bekamen wir ein warmes Essen. Danach holte uns Thea ein junges B.D.M. Mädchen (Bund Deutscher Mädchen), eine Organisation von Adolf Hitler ab, um uns zu unserem neuen Zuhause zu bringen. Wir hatten einen 20-minütigen Fussmarsch vor uns, der mir endlos erschien. Dann waren wir am Ziel. Es waren ca. 20 doppelstöckige, lange Holzhäuser mit zwei Eingängen und vier Wohnungen in jeder Etage. Sie waren brandneu und für ausgebombte Hamburger gebaut worden und nun kamen wir.
In der Wohnung gab es eine grosse Wohnküche mit Kochnische, zwei kleine Schlafzimmer mit einem Eisenofen und langem Rohr, das durch die Wand führte und so auch das Nebenzimmer erwärmte. Und da war auch eine Spültoilette im kleinen Flur. Die Wohnung war einfach möbliert. In jedem Zimmer standen zwei Holzbetten mit Strohsäcken und je eine Wolldecke lag darauf. Zum Glück hatten wir zwei klein zusammengeschnürte Federbetten und Kopfkissen mitgebracht. Zwei Kleiderschränke vervollständigten die Ausstattung. In der Wohnküche standen eine Eckbank mit grossem Holztisch und zwei Stühlen. Ausserdem zwei offene Regale. Aber auf dem Tisch lag ein kleines Deckchen und darauf stand ein Alpenveilchen. Das hatte Thea für uns besorgt. Wir waren überglücklich, so ein Empfang!!

Das junge Mädchen ist in diesem Frühjahr 90 Jahre alt geworden. Mein Bruder hat das leider nicht mehr erlebt, sonst hätte er ihr wohl ebenfalls ein Alpenveilchen geschenkt. Über all die vielen Jahre waren wir eng mit Thea befreundet.

Dann musste mein Vater, nachdem er uns noch einiges Brennmaterial besorgt hatte, in den Krieg. Unsere Tage verliefen ruhig, aber ich erinnere mich, dass wir immer hungrig waren. Jede Nacht wurden wir durch die Sirenen geweckt. Von meiner Mutter aus dem Schlaf gerissen, zogen wir uns rasch an und rannten zum Luftschutzbunker. Wir haben alles überstanden. Keine Bombe fiel in unserer Nähe. Dann musste meine Mutter zur Entbindung ins Spital und wir drei Kinder blieben alleine. Meine Schwester war 10 Jahre und mein Bruder 6 Jahre älter als ich. Die Nachbarn halfen und weckten uns. Meine Mutter hatte nicht ein einziges Kleidungsstück für meine kleine Schwester, die am 4. April geboren wurde. Aber die Hilfsbereitschaft war einmalig. Jeder hatte etwas zu geben, das er nicht mehr benötigte; einen Wäschekorb, einige Windeln, Jäckchen oder Strampler. Es war wie ein Wunder!!

Und als dann am 8. Mai der Krieg zu Ende war, keine Sirenen, keine Luftangriffe mehr, da gingen wir alle in die Kirche. Als dann unser Vater im September leicht verletzt nach Hause kam, war unser Glück perfekt. Ganz langsam ging alles wieder aufwärts, und mein Vater sorgte für uns.

Primarschulzeit
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15.  Primarschulzeit
Siehe Erlebnisbericht Punkt 1.
UNSERE FÖRDERER
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