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Die Kapitel, wie wir uns kennenlernten und wesentliche Teile unsere 52 gemeinsamen Jahre finden sich in meiner eigenen Biographie "Glück gehabt" ebenfalls auf meet-my-life.net. Das grösste Glück war, meine Frau in der Bodega Española in Zürich eines Abends zufällig getroffen und in der Folge durch Hartnäckigkeit "erobert" zu haben. Wenn auch zu Beginn absolut mit allen möglichen Absichten - ausser zu heiraten. Am 16.5.2024 ist sie im Alter von fast 84 Jahren verstorben.
Erich Bohli, Juni 2024


(1) Catarroja nahe bei Valencia und war dort bei der männlichen Jugend bekannt und beliebt als "hunting ground", um weibliche Bekanntschaften zu schliessen. Der Fischereihafen in der Albufera war etwa 5 km entfernt, während der Jugend meiner Frau ein Fussmarsch oder mit einem Eselkarren. Im Hafen befand sich die bekannteste Bar für "All y pebre" des "El tio Vaina", den berühmten valencianischen Aal-Eintopf. Später kauften wir uns eine kleine Wohnung direkt am Meer in El Perellonet, wo ich manche Bekannte aus meiner Kindheit in Catarroja wieder traf.
Meine Schwester Conchin (als 2 Jahre ältere) erhielt den Namen der Mutter und ich den Namen der Schwester meiner Mutter. Wir waren den damaligen Verhältnisses entsprechend Teil einer Mehrgenerationen Familie. Wir lebten im Haus des Grossvaters und der Grossmutter mütterlicherseits (die jedoch früh verstarb und an die ich mich nicht mehr erinnere) in einem Quartier nahe des Bahnhofs, das heute noch "Les Baraques" heisst und wo die Fischer lebten. Es ging aus heutiger Sicht sehr idyllisch-dörflich zu und her. In die Bäckerei gleich um die Ecke brachten wir der "Fornera" z.B. jeweils Gerichte, die man im Ofen zubereiten musste, weil in unserer Strasse kaum ein Haus einen eigenen Ofen hatte, wir auch nicht. Typischerweise handelte es sich um "Arroz al Horno" oder "Piernas de Cordero". Dann war da noch die "Galinera", die die für die meisten spanischen (Eintopf-) Gerichte unentbehrlichen Hühner züchtete. In Catarroja hatten fast alle einen Übernamen (apodo). Die Mutter meiner Frau "la menina" (die Katze) und Vicenta "la menineta" (das Kätzchen).
Unsere Wohngegend war der ärmere Teil von Catarroja, die Bessergestellten lebten in der Nähe des "Camí Real", der Haupt- und Promenadenstrasse. Als Teenager putzten wir uns jeweils am Wochenende heraus und promenierten die Strasse rauf- und runter. Ich meistens mit meiner Cousine "Boriues", die immer wieder bei uns übernachtete, weil sie ihre Stiefmutter und ihr Vater in der Nacht nicht mehr ins Haus liessen, was häufig vorkam! Oft auch mit unserem Cousin Joaquin. (Dem ich einmal in einer Türe unabsichtlich einen Finger einklemmte, so dass er die Beere dieses Fingers verlor. Er hat es mir zum Glück nicht nachgetragen.)

(2) Sonntagsspaziergang in Catarroja bevor es zum Tanz ging. Meistens mit Cousin Joaquin und Cousine Boriues (rechts). Geld hatten wir nicht viel, aber legten doch sehr grossen Wert auf adrettes Aussehen. Schliesslich wollten wir alle doch einen guten Mann finden, heiraten und Kinder kriegen.
Zum adretten Aussehen gehörte auch das Hochstecken meiner langen Haare sowie immer auch etwas Schmuck, den finanziellen Möglichkeiten angepasst.
(3) Aufrechter, stolzer Gang, gepflegte Frisur und immer etwas Schmuck. Mein Markenzeichen mein Leben lang. Auch wenn die Gegend nicht immer nobel war. Schon schwer krank und 83 Jahre alt bemerkte liess sich unser Hausarzt gegenüber mir zur Bemerkung verleiten, wie beeindruckt er vom aufrechten Gang meiner Frau sei.
Das zweistöckige Einfamilienhaus der Grosseltern mütterlicherseits hatte, wie viele andere auch, einen kleinen Hof (coral), in dem sich immer einige Hühner und Enten tummelten. So hatten wir immer frische Eier - aber auch ab und zu Geflügel für Paellas, die immer der Grossvater kochte, sowie für all die anderen typischen Reisegerichte (Arroces melosos oder caldosos). In diesem Hinterhof mästeten wir auch immer wieder ein Schwein, und - sobald es schlachtreif war - verkauften wir es dem Metzger, was ein willkommener und notwendiger Zustupf war zum kargen Lohn, den Vater und Grossvater nach Hause brachten.
Gerne erinnere ich mich an unsere Hunde, die uns zugelaufen waren oder die wir einfach adoptiert hatten. Manchmal waren es bis zu 5 Stück. Am liebsten war mir Litri. Er wusste genau, wann jeweils meine Schule aus war und erwartete mich immer pünktlich am Schulausgang. Eines Tages verschwand Litri aus meinem Leben. Irgendjemand erzählte mir, dass meine Mutter den Hund einfach in einen Zug gestellt hätte. Wofür sie mich damit bestrafen wollte, ist mir nicht mehr präsent. Diese unmenschliche Tat habe ich ihr nie verziehen.
Es half mir sicher, dass ich - neben den anderen Hunden - immer viele Menschen um mich herum hatte. Ich schlief z.B. nie allein in einem Zimmer. Umso grösser war der Schock, als ich in der Schweiz an meiner ersten Arbeitsstelle allein in einem Zimmer schlafen musste. Aber über meine Zeit in der Schweiz später mehr.
Auch zum Essen sassen immer zahlreiche Menschen am Tisch. Es hatte immer genug für "noch einen Teller mehr".

(4) Mit den zahlreichen Cousinen war immer viel Betrieb, und Süssigkeiten und einer Mistela (valencianischer Süsswein) konnten wir nie widerstehen. Alle waren wir immer "herausgeputzt" und trugen Schmuck. Ich wieder mit Hochsteckfrisur, um meine langen Haare zu bändigen.
Als kleine Kinder wurden wir zwischendurch von meiner Grossmutter väterlicherseits, Salvadora, in Scharen gefüttert; wir wussten genau, dass es bei ihr immer etwas gab. Und waren es nur die gekochten kleinen und unverkäuflichen Kartöffelchen, die eigentlich für das zu mästende Schwein bestimmt waren.
Wir litten nie Hunger. Da der Grossvater mütterlicherseits Augustín, bei dem wir lebten, und mein Vater Berufsfischer in der Albufera waren und wir sogar zwei Schiffe besassen, ein grösseres ("La famosa Concha") und ein kleineres (la Barqueta), kamen im Minimum die von meiner Mutter nicht verkauften Fische auf den Tisch. Gemüse, Reis und Früchte fehlten auch nicht; wir hatten sogar einen eigenen Feigenbaum.
Mein Ehemann erwähnte immer wieder, dass er bis ins Erwachsenenalter nicht wusste, wie Ente schmeckt. (Und anderes.) Bei uns war das "gewöhnliches" Essen und kam regelmässig bei festlichen Anlässen auf den Tisch. Wie ich überhaupt erstaunlich finde, wie so ein armes Land, wie damals Spanien war, im Vergleich zur Schweiz, so viel mehr Wert auf das alltägliche Essen legen konnte. Bis heute.
Auf jeden Fall mache ich auf den noch erhaltenen Fotos immer einen gut genährten Eindruck:

(5) Im Fotostudio vermutlich mit 12/13 Jahren. Sicher arbeitete ich da bereits als Poliererin in der Möbelfabrik. Die langen Haare und die Hocksteckfrisur-Mode kamen später.
(6) Damals ging man noch regelmässig ins Fotostudio, nicht jedermann hatte einen Fotoapparat. Die Haare waren immer wichtig! Was mir hier schon auffällt ist ihr forscher, wacher Blick, der einen sofort in den Bann zog. Sie liess sich ihr Leben lang nie etwas vormachen.
Auch später, schon schwer krank, liess sie sich nicht gehen und kaufte ihrem drastischen Gewichtsverlust folgend noch viele neue Kleider und auch Schmuck. Mir gab das Hoffnung, dass sie so demonstrativ an eine Zukunft glaubte und sich nicht aufgab!
(7) Shopping im "Centro Commercial EL Saler" in Valencia. Auch mit 83 Jahren und Krebs und nur noch einem Mini-Magen wollte sie adrett daherkommen. Sandalen und Bluse passten wie hier farblich meist perfekt zusammen. Üblicherweise auch die Handtaschen, die ich ihr in allen Farbvarianten kaufte.

Meine Frau hat den neuen Lebenspartner ihrer Mutter nie akzeptiert. Von Veranstaltungen, z.B. Hochzeiten, wo er dabei war, hielt sie sich fern. Vermutlich war er der Hauptgrund für ihren Wunsch, in die Schweiz zu ihrer Tante zu emigrieren.
Eine Scheidung war damals nicht möglich, so dass weder Vater noch Mutter wieder heiraten konnten. Sie waren eine Schande, weil sie in Sünde lebten ....., obwohl sie ja formell immer noch verheiratet waren (wie wenn sie die einzigen gewesen wären ....). Und die katholische Kirche liess es sie auch spüren. Bis zum Begräbnis meines Vaters. Davon später.

Darüber hinaus musste ich keine Hausarbeiten erledigen, was von Nachbarinnen gegenüber meiner Mutter oft bemängelt wurde. Sie hat dann jeweils geantwortet, die Hausarbeit käme noch früh genug. "Deixa-la viure."
Einschub des Ehemannes:
Hingegen interessierte sie sich schon früh fürs Kochen und lernte sowohl bei ihrer Mutter wie bei den Grosseltern die typischen valencianischen Reisgereichte mit ihrem unvergleichlichen Geschmack hinzuzaubern. (Sie behielt zeitlebens die Rezepte und Zubereitung im Kopf!). Nur von der Paella Valenciana liess sie, bis auf ganz wenige Ausnahmen, die Finger. Sie fand, dass ihr eine Paella, wie von ihrem Grossvater (wenn möglich auf Orangenholzfeuer) zubereitetet, nie gelingen könnte. Dementsprechend war sie auch in Restaurants eine sehr kritische Paella-Esserin. Vielleicht eine von fünf Paellas fand sie wirklich gut, drei passabel und eine sozusagen ungeniessbar, auch wenn sie für Schweizer Gaumen immer noch fein war ... Der Unterschied zwischen Paella und Reis mit Sachen (Arroz con cosas) ist Nichtvalencianern eben unbekannt ....
Daneben kümmerte sich ihre Mutter als einzige der drei Geschwister um ihren Vater Augustín. Ihr Onkel lebte in Alcoy, ihre Tante Vicenta damals schon in der Schweiz, nachdem sie in Valencia einen Schweizer kennengelernt und geheiratet hatte. Aus dieser Ehe, die ein paar Jahre später in die Brüche ging, entstammte ihr schweizer Cousin Arturo. Bevor sie sich in der Schweiz niederliessen, lebten sie noch einige Zeit in Paris - wo sie sogar mein Grossvater einmal besuchte und den staunenden Kindern von dieser Grossstadt, natürlich auch vom Eifelturm, erzählte. Als meine Frau dann Jahre danach mit dem Zug in die Schweiz fuhr und überall entlang der Bahnlinie in Frankreich die grossen Stromverteilmaste sah, dachte sie: So viele Eifeltürme - und so gross ....
Nach der Trennung ihrer Eltern wurde bezüglich der Betreuung von Vicenta und ihrer Schwester gerichtlich entschieden: Vicenta, als die jüngere, blieb bei der Mutter und deren Vater, ihre Schwester Conchin bei ihrem Vater - wobei sie effektiv bei einer der Schwestern des Vaters, Tante Pepica, platziert war und in einer Schneiderei arbeitete. Bis sie ihren späteren Mann Bartolo Soler kennenlernte und relativ jung heiratete, um aus dieser Situation auszubrechen. Weg vom dörflichen Catarroja in die Grossstadt Valencia.
Als die Mutter meiner Frau dann offiziell meine Schwiegermutter war, war sie zweimal für einige Tage bei uns. Das erste Mal in Zürich um den 19. Januar 1974, als Vicenta und ich heirateten. Das zweite Mal einige Tage in unserer für die Sommerferien gemieteten Ferienwohnung in El Perellonet. Irgendwie "funkte" es aber nie zwischen uns. Wenn ich etwas fragte, gab sie kurze Antworten. Von sich aus, erzählte sie nie etwas. Auch wenn wir längere Zeit im gleichen Raum sassen. Es war nicht bös gemeint und auch keine Aversion vorhanden. Entweder glaubte sie nicht, dass ich als Ausländer sie verstehen würde (dabei sprach ich damals schon mit Vicenta nur "Valenciano"). Oder sie hatte einfach Hemmungen. Und mir gelang es nicht, ein Gespräch in Gang zu bringen. Jedenfalls war es eine "gute" Schwiegermutter (tía sogra), denn sie mischte sich in nichts ein. (Und ich sah sie ja aus der Erinnerung höchstens 10 Mal ....). Meinen Namen Eric konnte sie nie aussprechen; sie sprach von mir immer als Xerry.
Einmal fuhren wir mit ihr nach Andermatt. Als wir zurück waren, fragte ich sie, ob ihr der Ausflug gefallen habe. Sie meinte "ja sehr". Auf meine Anschlussfrage, ob sie denn auf der Fahrt keine Angst gehabt hätte, antwortete sie, "Nein, ich hatte ja die Augen geschlossen ...".
Das Verhältnis meiner Frau zu ihr war solange ich sie kannte gestört. Sie akzeptierte und respektierte sie zwar als Mutter, und ich war nie Zeuge einer Auseinandersetzung. Sie machte sie aber für die Trennung von ihrem heissgeliebten Vater verantwortlich, weil sie es war, die mit einem der Fischer fremd ging.
Mein Sohn merkte noch an: "Als Kind irritierte mich immer, dass meine Mutter ihre Mutter siezte. Ich blieb immer beim Du und fühlte mich rebellisch %uD83D%uDE0A."

Er liebte Kinder über alles, besonders mich, und scharte oft viele um sich, um Geschichten zu erzählen oder mit ihnen Theater zu spielen. Mich nahm er oft an Fussballspiele und Boxveranstaltungen mit. Mit dem Resultat, dass ich mich später zeitlebens für Sport interessiert habe, wenn auch nie selber irgendetwas betrieben.
Nach der Trennung der Eltern und erst recht nach meiner Emigration in die Schweiz mit 22 Jahren habe ich ihn nicht mehr oft gesehen. Er war ein starker Raucher und verstarb an Lungenkrebs als ich bereits in der Schweiz war. Von seinem Tod hörte ich erst Jahre später, was ich meiner Mutter nicht verzeihen konnte. Ich erfuhr dann auch, dass sich die spanische Kurie geweigert hatte, ihn im Friedhof von Catarroja zu beerdigen, weil er "in Sünde" gelebt habe. Das war für mich der emotionale Abschied von der katholischen Kirche. Wenn sie mich in der Schweiz als eines ihrer "Schäfchen" aufsuchten, wimmelte ich sie an der Haustüre immer kurzangebunden ab. Ich habe deshalb auch problemlos in einer protestantischen Kirche geheiratet und unser Sohn war protestantisch wie sein Vater.
Das änderte allerdings nicht an meiner Verehrung der Mutter Gottes und einiger Heiliger, insbesondere San Vicente, mein Namensgeber. Zu stark wurde uns das alles von klein auf eingeimpft. In Spanien waren und sind die Namenstage viel wichtiger als die Geburtstage. Sie legte immer grossen Wert darauf, dass ihr Namenstag San Vicent el Martyr und nicht der andere war.

Auch wenn sie ihre Grossväter sehr liebte, beging einer der beiden ihr gegenüber einen grossen Fehler. Er spielte leidlich Gitarre und Vicenta interessierte sich schon früh dafür. Erhielt jedoch zur Antwort, dass das Gitarrenspiel nichts sei für Mädchen. Das war schon fast ein Verbrechen, wenn vielleicht auch damals so üblich. Meine Frau hatte nämlich ein unvergleichlich gutes Musikgehör und -gedächtnis. Nicht nur für die Melodien. sondern auch die Texte, an die sie sich auch noch im hohen Alter fast vollständig erinnerte. Ein paar Takte genügten ihr zeitlebens, um die Musik den Interpreten oder einem Film zuzuordnen. Unfehlbar. Auch von Opern, die sie liebte, und von denen sie die bekanntesten alle kannte und auch singen konnte. Sie hätte vermutlich ein Instrument virtuos gespielt.

Wenn ich mich bei meinen Grosseltern väterlicherseits, in deren Haus auch mein Vater nach der Trennung von meiner Mutter lebte, aufhielt und auch dort ass, bestand mein "Ämtli" oft darin, in der nahegelegenen Bar "Gurugu" (die in den 1990er Jahren für immer schloss) Wein für die Grosseltern zu holen. Für eine Peseta wurden die Flaschen ab Fass oder Bidon gefüllt. Es gab drei Weine zur Auswahl: Weisswein, Rotwein oder Rosé. Die Grossmutter trank nur Weissen, Grossvater Rosé und mein Vater Roten. Alle direkt aus ihrer Flasche. Dem Vernehmen nach lag der Grund darin, dass der Grossvater genau wie mein Vater zittrige Hände hatte, und sie beim Trinken aus einem Glas den Wein verschüttet hätten.
Schon als Kinder erhielten wir ab und zu einen Schluck, auch direkt ab Flasche. Mit dem Handrücken wischten wir uns dann den Mund ab. wie wir es bei den Grosseltern sahen. Die Drohung, dass ich vom Rotwein später schwarze Brustwarzen bekommen würde, beeindruckte mich nicht besonders. Es war ja dann auch nicht der Fall. Aber die zittrigen Hände vererbten sich mehr oder weniger stark in diesem Familienzweig. Auch ich litt leicht darunter, was dazu führte, dass ich nie schön schreiben konnte und auch nicht gern (und nur wenig) schrieb. Immerhin hat es gereicht, um am 19.01.1974 auf dem Standesamt in Zürich mit meinem neuen Namen (Bohli) zu unterschreiben ...
Einschub des Ehemannes:
Vom Grossvater väterlicherseits hat mir meine Frau nicht so viel erzählt. Offenbar war sie jedoch häufig bei ihnen zu Besuch. Lediglich je ein Foto ist erhalten geblieben:

(1) Vicente der Grossvater väterlicherseits.
Seine Enkeltochter Boriues erzählte mir jedoch, dass er den Enkelkindern ab und zu ein Geldstück zusteckte, dies jedoch so, dass es seine Frau, die Grossmutter Salvadora nicht sah.
Grossvater Vicente besass auch ein Reisfeld, das er nach dem Tod seiner Frau verkaufte und dann nach Barcelona zu seiner Tochter Gerubina zog. Als sein ganzes Geld aufgebraucht war, spedierten sie ihn, halb blind und gehbehindert, jedoch zurück nach Catarroja, wo er auf die Unterstützung durch verschiedenste Familienmitglieder angewiesen war. Da aber noch sein Haus zu erben war, scheint das kein Problem gewesen zu sein. Man erzählt auch, dass sich die zwei Schwestern sich heimlich in einem Testament das Haus sicherten, so dass der Vater von Vicenta und seine Enkelkinder nichts erbten.

Sie gleicht auffallend ihrer Enkeltochter Boriues, die jedoch vorwiegend im Haus meiner Frau zusammen mit ihr aufwuchs.

(1) Salvadora, die früh verstorbene Grossmutter väterlicherseits und Mutter der Cousine "Boriues".
Frauen wussten auch die Fischerboote auf der Albufera zu führen. Wie das ca. 7 m lange Boot, das zwar einen Motor hatte, aber in seichtem Wasser mit Stecken (Perche) vorwärtsbewegt wurde.
(2) Am Steuer die Grossmutter Salvadora. Das kleine Mädchen ist ihre Enkeltochter Boriues, die Cousine meiner Frau.

Und wer noch mehr über die Geschichte dieses ehemaligen Königreichs wissen möchte, findet hier einen kurzen Abriss: Königreich Valencia – Wikipedia
Wir lebten mit ihm zusammen in seinem Haus, seine Frau, meine Grossmutter mütterlicherseits habe ich nicht gekannt, weil sie früh gestorben ist.
Jede Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen musste genutzt werden. Zur Zeit der Reisernte diente das grosse Boot zum Reistransport. Für ein weiteres notwendiges Zubrot transportierte er damit jeweils an Sonn- und Feiertagen Ausflugswillige ans gegenüberliegende Ufer des Sees. Von dort waren es dann nur wenige Minuten bis zum tollen Sandstrand der "Devesa". Das Ausflugsvergnügen bestand in der Regel, neben schwimmen im Meer, aus einem Picknick im Pinienwald, das sich über 15 km als Naturschutzgebiet zwischen dem Süsswassersee und dem Sandstrand hinzieht. Oder man konnte sich an einem der Merenderos, die in den 1980er Jahren alle verschwinden mussten, für wenig Geld verpflegen. Sofern man nicht schon von den kleinen Muscheln (Pechinetes) satt geworden war, die man Haufenweise im seichten Wasser aus dem Sand ausgraben und direkt so essen konnte.
(Der Schutz dieses Naturschutzgebietes erhielt nach einem grossen Brand in den 1970er Jahren, dem der Pinienwald kilometerweit zum Opfer fiel, hohe Priorität mit entsprechenden Einschränkungen des Zugangs und besserer Überwachung.)
Obwohl ich trotz meiner Angst in ein Boot zu steigen oft mitfuhr, habe ich nie schwimmen gelernt ....
Man sagt, der Grossvater hätte sogar den König in seiner "La famosa Concha" zur Entenjagd transportiert. Tatsächlich sah ich einmal im bekannten Haus des "El Sinyoret" auf einer der Reisinseln im See ein Wandgemälde: Es zeigte tatsächlich den Enten schiessenden König in einem Schiff dieses Namens. Die ganze Gegend mit dem Naturschutzgebiet war übrigens früher Privatbesitz des Königs. Später schenkte er es Valencia.

Ab welchem Alter meine Frau in die Schule ging, ist mir nicht bekannt. Nur dass sie die Schule scheinbar nicht besonders mochte. Auch nicht den Religionsunterricht mit den Padres, die sie ausfragten, wo sie zum Schlafen ihre Hände habe. Sinn und Zweck solcher Fragen konnte sie nicht verstehen.
Auf jeden Fall kam es zu einem Eclat, als sie 12 Jahre alt war. Sie ging offenbar über 2 - 3 Monate nicht in die Schule und erzählte zu Hause, die Lehrerin sei krank. Der Schwindel fiel auf, als die Lehrerin eines Tage auf der Strasse ihre Mutter traf und sie fragte, weshalb Vicenta die Schule nicht besuche. Sie erzählte mir, dass ihre Mutter sie daraufhin an einen Baum band und mit dem Schuh auf sie eingeprügelt habe.
Ob das der Anlass war, dass sie ganz aus der Schule genommen und zum Arbeiten geschickt wurde, oder ob sie selbst einfach nicht mehr in die Schule wollte, ist mir aus ihren Schilderungen nie ganz klar geworden. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass sie mit ihrem wachen und rebellischen Geist einfach unterfordert war und lieber arbeiten wolle.
In dieser Zeit mit ganz kargen Haushaltseinkommen schien es jedoch nicht unüblich gewesen zu sein, dass Kinder ab 12 Jahren arbeiten gingen und Geld nach Hause brachten. Das war natürlich noch ein viel grösseres Verbrechen gegenüber meiner Frau als der unterbliebene Gitarrenunterricht. Denn sie war sicher schon damals überdurchschnittlich intelligent, mit einer unglaublich raschen Auffassungsgabe und einem beeindruckenden Erinnerungsvermögen. Und das bis zu ihrem Tod mit fast 84 Jahren. Sie war eine Schnelldenkerin und zudem pflichtbewusst, zuverlässig und kreativ. Sie hätte alle Voraussetzungen für eine höhere Schulbildung, hätte man sie entsprechend gefördert und gefordert. Aber nur schon aus finanziellen Gründen, aber auch aus ihrer sozialen Schicht heraus, war das keine Option.
Nun, es ist trotzdem gut gegangen. Auf jeden Fall hat sie in den wenigen Schuljahren solide rechnen gelernt und bis ins hohe Alter nicht mehr verlernt - ohne Taschenrechner. Auch gelesen hat sie in jüngeren Jahren viel. Besonders angetan hatten es ihr die Krimis von Agatha Christi, die Heimatromane des berühmten valencianischen Schriftstellers Blasco Ibañez. Vicente Blasco Ibáñez – Wikipedia
Aber auch am Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt, das ich ihr einmal auf Spanisch schenkte, fand sie grossen Gefallen. In ihrer Büchersammlung habe ich sogar "Digamos que me llamo Gantenbein" von Max Frisch entdeckt, sowie u.a. Bücher von Dostojewski, Jack London, Oscar Wilde und Hermann Hesse oder Cela. Viel später, mit dem Aufkommen der Telenovelas und von Netflix, wurde dann das zum Steckenpferd. In ihren letzten Lebensjahrzehnt lief der Fernseher praktisch ununterbrochen. Nach einigen Jahren mussten wir jeweils einen neuen anschaffen, weil die Farben nicht mehr korrekt dargestellt wurden (OLED-Technologie).
Was für eine ausserordentliche Hirnkapazität sie hatte zeigte sich, als sie die Kreuzworträtselhefte für sich entdeckte. Sie löste ab dann bergeweise davon - und fast immer nur als Begleitung zu TV-Sendungen/-Serien. Nur das eine oder nur das andere füllte sie nicht aus und langweilte sie sogar! Ich glaube, sie verfolgte dann das Geschehen auf dem Bildschirm primär mit dem Gehör, während Augen und die Hälft des Hirns mit dem Kreuzworträtsel beschäftigt waren ...

Anders war es bei ihrer Schwester, der schon recht jung ein fescher Bursche aus Valencia den Hof machte und sie für sich einnehmen konnte. (Catarroja war für junge Männer des 15 km entfernten Valencia ein beliebtes Ausflugsziel.) Als die beiden dann enger befreundet waren, musste meine Frau das Pärchen, die dann später auch heirateten, als Anstandsdame im Ausgang begleiten. Teenage-Girls durften mit einem Mann nicht unbeaufsichtigt sein. Für die Begleitung wurde sie vom Freund ihrer Schwester sogar bezahlt (oder bestochen), weil sie nur so ausgehen oder ins Kino gehen durften.
Obwohl sie sich schick zu kleiden wusste, machte ihr in Catarroja zu ihrem Leidwesen niemand ernsthaft den Hof.

(1) Offenbar verdiente sie genug, um sich auch ein schickes Deuxpieces leisten zu können. Ich vermute, dass zu diesem Zeitpunkt ihre Emigration in die Schweiz nicht mehr weit entfernt war.
Sie meinte einmal, dass sie einfach zu wild war, als dass sich Jungs für sie interessiert hätten. Als Kind hätten sich die Eltern anderer Kinder oft bei ihren Eltern beschwert, weil sie sie geschlagen oder mit Steinen beworfen habe. Die Mutter habe dann jeweils gesagt, dass es ihr lieber so sei als umgekehrt ....
Als wir uns kennenlernten, war sie immer noch ein Temperamentbündel (und blieb es auch) aber hatte sich schlagen und Steine werfen zum Glück schon abgewöhnt .... Hingegen erinnert sich Ralph, dass sie ihm zweimal ihren Hausschuh nachgeworfen habe, was einmal zu einer blutigen Nase geführt habe. Was ihr natürlich sehr leid tat, wie die "Espardeña voladora" ganz generell.

Sie begannen allerdings erst Jahre nach unserer Heirat, denn jedenfalls schien hier, als Patin bei der Taufe deren erster Tochter Conchin, die Welt noch in Ordnung gewesen zu sein.

(1) Taufe ihrer Patentochter Conchin, der Erstgeborenen ihrer Schwester. Von links nach rechts, leicht verdeckt vom Pfarrer die Schwester Conchin, ihr Ehemann und stolzer Vater Bartolo, der jüngere Bruder von Bartolo, Pepe, offenbar der Pate und meine Frau als Patin. Sie war extra aus Zürich angereist.
Ihre Schwester war sehr hübsch, aber dementsprechend auch sehr kokett. Sie las mehr als meine Frau, interessierte sich für vieles und wusste somit über manches gut Bescheid. Entsprechend dem damals in Spanien üblichen Rollenverständnis, war ihr Beruf Hausfrau und Mutter. Ihrem Mann, als später selbständigem Bierdistributor mit eigenem Lastwagen, stand sie jedoch mit Abrechnungen und der Verwaltung des Einkommens tatkräftig zur Seite. Verwaltete auch das Geld, was nicht unüblich war. Meine Frau empfand jedoch irgendwann, dass sie sie von oben herab als Ignorantin behandle. So gab es später oft längere Perioden, in denen sie kaum noch Kontakt hatten. Leider erst wieder, als die Schwester an Alzheimer erkrankte und sie nicht mehr erkannte, sondern für ihre Tochter hielt.
Es war eine sehr harmonische Ehe, in der sie den Ton angab. Sie litt aber darunter, dass ihr Mann es nicht über Distribuidor de Cerveza (zuerst "Turia" später "El Aguila") gebracht hatte. Auf meinen etwas dreimaligen Begleitungen zu früher Stunde konnte ich mich überzeugen, dass er seinen Job hervorragend machte. Wenn er eine Bar verliess, war deren Flaschenlager tipp-topp geordnet nach Flaschengrössen. Mit der Konsequenz, dass ihm die Wirte immer ein Bierchen oder einen Carajillo (immer mit "Veterano"-Brandy) einschenkten, die sich dann über den Tag ziemlich summierten ... Neben seiner Arbeit widmete er sich ausschliesslich der Familie und wollte gar nicht mehr. Soviel ich weiss, verbrachte er jede freie Minute mit ihr.
Er verstarb kurz nach seiner Pensionierung an Lungenkrebs, eine Tragödie für Conchin, die sich so sehr auf den gemeinsamen neuen Lebensabschnitt gefreut hatte.
(2) Die junge Familie ihrer Schwester Conchin, Ehemann Bartolo und die erste Tochter Conchin. Wenig später stiess dann noch das zweite Kind Vicenta dazu.
Andererseits blieb ihm erspart, den geistigen Niedergang seiner so heiss geliebten Ehefrau zu erleben:
(3) Besuch der schwer an Alzheimer erkrankten Schwester. Ein Anblick, der auch für Vicenta schwer zu ertragen war, obschon selbst schon von Krebs ausgezehrt. Wir hatten die völlig hilflose Frau für ein Mittagessen in ihrer Residenz abgeholt.
Ich bin dem Schicksal sehr dankbar, dass meine Frau bis zum letzten Tag voll bei Verstand war.
Ich habe Conchin und ihren feinen Ehemann Bartolo in bester Erinnerung. Nicht nur dass sie mich schon bei meinem ersten Besuch mit offenen Armen empfangen haben. Auch wenn sie mich in einer Pension einquartierten, weil ich "anstandshalber" nicht bei ihnen, unter einem Dach mit meiner Freundin, übernachten dufte. Wir wussten dann allerdings, diesen Umstand zu unseren Gunsten auszunutzen.
Als frisch Verheiratete waren wir ihnen für die unserem bescheidenen Ferienbudget angepassten Aufenthalte in Valencia zu grossem Dank verpflichtet. Und auch, dass wir den Strand von EL Perellonet für uns entdeckten und schliesslich dort um 1994 unsere Ferienwohnung erwarben.
Wenn wir bei ihnen logierten, zeigten sie uns jeweils an Wochenenden die diversen Strände südlich und nördlich von Valencia. Nach dem herrlichen Schwimmen im Meer immer mit Picknick und anschliessender Siesta auf einer Decke auf dem mit Piniennadeln übersäten Waldboden. Und herrlichem Geruch, den man nie mehr vergisst.
Am besten gefielen uns die wunderbaren Strände südlich von Valencia, die Vicenta und ich dann fast täglich mit dem direkten Bus erkundigten und den Tag jeweils dort verbrachten. Zum Glück, denn es stellte sich heraus, dass die Strände im Norden stark von Mücken heimgesucht sind, während es im Süden, wohl in Folge der Reisfelder, die Häuser frei davon waren.
Später mieteten wir gemeinsam mit Bartolo und Conchin in verschiedenen Residenzen in El Perellonet in den Sommerferien Wohnungen, bis wir dann schliesslich das uns am meisten zusagende Objekt fanden: Ulises. Ein 20stöckiges Hochhaus direkt am Strand mit einem grossen eigenen Schwimmbad, (damals noch) Ganzjahresportier und der im Erdgeschoss integrierten Bar "Chimo". Man sagte dem Architekten nach, dass das das einzig Gescheite sei, das er je gebaut habe .... So ein Bau war in den Nachkriegsjahren am Strand südlich von Valencia nur während einer kurzen Periode erlaubt und wird heute als grosse Bausünde angesehen. Wenig später durften in Strandnähe dann nur noch maximal 2stöckige Bungalows gebaut werden. Bis heute.

(4) Ulises gezeichnet von Shaun, der Frau des Paten unserer Enkeltochter Mila. am linken Bildrand unsere (mittlerweile) zwei kleinen Wohnungen. Bewusst mit Süd- und Westausrichtung gewählt, für die maximale Nutzung der Sonne als Wärmequelle in den Wintermonaten.
Wir hingegen sind sehr dankbar dafür und die fantastische Aussicht vom 6. Stock. Die Wohnungen sind zwar keineswegs luxuriös und sehr hellhörig, weil von Anfang an als günstige Zweitwohnungen für Spanier konzipiert. So sind auch heute noch, trotz Wohnungsnot, in den total rund 80 Wohnungen kaum ein Dutzend Apartments das ganze Jahr über belegt. Es war ein nicht ganz sechsstelliger Betrag, den wir uns mit unseren ganzen Ersparnissen gerade noch knapp leisten konnten - ohne ein Hypothek aufzunehmen. Auch nach über 30 Jahren lieben wir die Wohnung, unsere erste eigene Bleibe, auf die wir sehr sehr stolz waren. Wir genossen dort wunderbare Zeiten in wirklich spanischem Ambiente, das Vicenta gut tat. Von mir ganz zu schweigen; ich war dort einfach nur glücklich. Jetzt, im Juli/August 2024, werde ich erstmals meine Sommerferien ohne Vicenta dort verbringen. Im Vorfeld ein sehr seltsames Gefühl.

Als sie 20 oder 21 Jahre alt war, muss etwas vorgefallen sein, dass sie unbedingt von zu Hause und Catarroja wegwollte. Ihre Tante, die Schwester ihrer Mutter, lebte in Zürich, inzwischen geschieden von ihrem ersten Schweizer Ehemann, den sie in Valencia kennengelernt hatte. Inzwischen war sie jedoch erneut verheiratet mit Kurt Schläpfer, dem späteren CEO von Electrolux (Schweiz). Ein unvergleichlich guter Mensch, der Vicenta und später auch mich, als Nichte und Neffen betrachtete und auch mir beruflich half. Jedenfalls hatten sie ein offenes Ohr für den Wunsch von Vicenta, liessen sie in die Schweiz zu sich kommen und suchten ihr Arbeit.
Es war eine Zeit, in der viele Spanier als Saisonier ins Ausland gingen, primär nach Frankreich, z.B. zur Traubenernte aber auch in die Schweiz oder nach Deutschland, viele in die Gastronomie. Der Zug sei so überfüllt gewesen, dass man die junge Frau kurzerhand durch das Fenster des Bahnwagens in den Zug befördert habe! Wir haben über dieses Bild oft gelacht. Zum Glück konnte sie bis Genf auf die Begleitung eines ebenfalls auswanderungswilligen Mannes aus Catarroja zählen. Völlig "gefahrlos", da er zu den zahlreich emigrierenden Homosexuellen gehörte, für die es unter dem Franco-Regime in Spanien sehr ungemütlich war. In Zürich bildeten sie dann eine relativ grosse Community, zu der Vicenta gute Beziehungen hatte. Sie sagte sogar oft, dass sie für diese eine Art Maskottchen gewesen sei. Es gab aber auch viele "binäre" Valencianer und Valencianerinnen, die eine richtige Clique bildeten. Über sie fand ich zu meiner Freude Zugang zu mehren interessanten Menschen dieser für mich so anderen Kultur. Und lernte erst noch fast gezwungenermassen, das Valenciano zu verstehen und bald einmal auch zu radebrechen. Später sprachen wir dann zu Hause nur noch Valenciano - sie auch zum Glück mit unserem Sohn, der damit auch eine Fazilität für Sprachen entwickelte.

Sie hatten ihr bereits einen Job in der Küche des Restaurants Kaufleuten besorgt, wo sie auch ein Zimmer und Kost und Logis erhielt. Sie weinte die ganze erste Nacht. Es war das erste Mal, dass sie allein in einem Zimmer schlief und sie hatte fürchterliche Angst. Worauf sie wieder bei ihrer Tante wohnen durfte - gegen Entgelt von ihrem kargen Lohn. So wie sie mir das fremdartige (ungeniessbare) Essen in der Schweiz schilderte, hatte ich den Verdacht, dass die Tränen genauso daher rührten.
Bevor ich sie kennenlernte, hatte sie mehrere Jobs. Wobei sie diese immer schon beim ersten Vorstellungsgespräch bekam. Rückblickend ein weiterer Beweis für ihre Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen und von sich zu überzeugen. Hier die mir bekannten Stationen:
- Nach dem Fiasko mit dem "Kaufleuten" fand sie in ihrem vorübergehenden Wohnquartier in Seebach im Café Ami eine Stelle: Ohne jegliche einschlägigen Vorkenntnisse als Hilfskraft in der Küche, an der Kaffeebar und als Betreuerin der kleinen Kinder, inkl. diese in den Kindergarten bringen und wieder abholen.
- An der Bar des v.a. über Mittag gut besuchten (heute nicht mehr vorhandenen) Cafés "Gschwind" an der Uraniastrasse für die Herausgabe von Mittagessen, Getränken und Kaffee. Dass sie in den wenigen Schuljahren immerhin gut rechnen gelernt hatte, kam ihr nun zugute.
- Von da ging es in die Küche der Kaserne, wo sie von der damaligen italienischen Köchin nicht nur in kürzester Zeit perfekt italienisch lernte, sondern auch die italienische Küche. Später wurde ich zum Nutzniesser der zweifellos weltbesten Lasagna und ausgezeichneter Polenta. Die Köchin, Anna, wurde eine sehr gute Freundin. Zusammen wechselten sie dann offenbar in die Näherei der Kaserne, so dass sie auch noch nähen lernte.
- Aus welchem Grund sie dann in einer Buchbinderei landete, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich lernte sie in dieser Zeit kennen und staunte, was für einen Arbeitsweg sie auf sich nahm. Sie wohnte nun doch allein: zuerst am Hegibachplatz, dann noch weiter oben an der Forchstrasse (Burgwies) aber arbeitete in Schlieren. Mit Bus und Tram war sie täglich mindestens 2 Stunden unterwegs. Tagwacht spätestens um 0600h, denn sie war immer gut geschminkt und gepflegt. Kein Wunder hatte sie für mich unter der Woche keine Zeit. Meistens wenn ich anrief, um zu fragen, ob wir uns sehen könnten, meinte sie, sie müsse waschen und bügeln. Was ich ihr natürlich nicht glaubte, sondern andere Männerbekanntschaften unterstellte.
- Wie sie dann in dieser Zeit die viel näher gelegene Stelle in der Buchbinderei der Neuen Zürcher Zeitung am Bellevue fand, weiss ich nicht mehr. Auf jeden Fall war das eine riesige Erleichterung - auch um uns nun doch häufiger zu treffen. Wenn ich mich gegenüber des NZZ-Gebäudes an den Migros-Imbissstand stellte, sah sie - oder ihre Arbeitskolleginnen - mich, und es dauerte nicht lange, bis sie sich für ein Päuschen verabschieden durfte und bei mir auftauchte. (Ich besuchte damals die Minerva zur Vorbereitung auf die Maturitätsprüfung, so dass ich zwischendurch und über Mittag Zeit für einen Abstecher ans Bellevue hatte.)
- Dann heirateten wir und sie kündigte die Stelle bei der NZZ. Nicht zuletzt, weil es sich ihr Vorgesetzter nicht abgewöhnen wollte, im Vorbeigehen ihren (knackigen) Hintern zu tätscheln. Sie erhielt zum Abschied trotzdem ein Tranchierset. Es ist übrigens der einzige mir bekannte sexuell übergriffige Vorfall ihr gegenüber. Auch ich war sehr zurückhaltend. Eigentlich ein Wunder, dass wir ein Paar wurden ....
- Nach zweijähriger Freundschaft und anschliessender Heirat, und ich immer noch im Studium ohne festes Einkommen, war es für Vicenta selbstverständlich, dass sie weiter arbeiten wollte. Ich fand ihr eine Stelle in einer Buchbinderei in Wipkingen. Sie gingen sogar auf meine wesentlich höhere Lohnforderung ein. Nach wenigen Arbeitstagen verstauchte sie sich jedoch an einem Picknick-Wochenende an der Limmat fürchterlich den Fuss und konnte unmöglich zur Arbeit. Wir fanden es nur fair, nicht auf Lohnfortzahlung zu beharren, sondern lösten den Arbeitsvertrag per sofort auf. Ich weiss nicht, wer das heute noch machen würde. (Vermutlich auch damals nicht.)
- Statt eine neue Stelle zu suchen, beschloss sie, dass es angesichts ihrer bereits 34 Jahre an der Zeit sei, für Nachwuchs besorgt zu sein. Der denn auch nicht lange auf sich warten liess. Als ich eines Tages von der Uni nach Hause kam, (ja ich war noch Student der Wirtschaftswissenschaften), eröffnete sie mir: "estig mes preniat qu'una burra".
- Damit begann ihr längster und für sie schönster Job: Hausfrau und Mutter. Wie oft habe ich ihr gesagt, dass ich nie im Traum gedacht hätte, dass sie das so perfekt machen würde. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätte. Ich habe daran einfach nie einen Gedanken verschwendet! Ich war verliebt in sie als Frau - nicht als Hausfrau. Auch im 52. Jahr unserer Bekanntschaft, wunderte ich mich immer noch, wie souverän und mit wieviel Hingabe sie diesen Beruf ausübte. Ich konnte mich voll und ganz dem meinen widmen.

Unser gemeinsames Leben schildere ich in meiner eigenen Biographie auf meet-my-life.nete ausführlich. Es wäre vermessen, es aus ihrer Sicht zu schildern. Von absoluten Habenichtsen zu einem finanziell sorgenfreien und privilegierten Leben. Sie hat davon nie viel Aufheben gemacht, nahm es einfach dankbar zur Kenntnis. Dazu gehört auch das Haus, das wir seit 2003 bewohnen. Und es erst noch bewerkstelligen konnten, dass unser Sohn mit Schwiegertochter und ihren drei Kindern nur wenige Minuten von uns leben.
Für sie war das die höchste Lebensqualität und Lebensinhalt, nicht die Höhe des Bankkontos oder sonstige Besitztümer. Irgendwann wieder Spanien zu leben, kam aus diesem Grund gar nie in Betracht. Für mich eher als für sie.
Was sie auch nie mehr missen wollte, war ihr Garten, den sie über alles liebte. Die eigentliche Gartenarbeit überliessen wir zwar gerne einem professionellen Gärtner. Aber die jährliche Bepflanzung im Frühjahr übernahm sie immer selbst. Inbegriffen jedes Jahr das Pflanzen eines kleinen Margeriten-Baumes als Erinnerung an meine Mutter Margrit. Sie kam blendend aus mit ihrer Schwiegermutter.

(1) Wenn sie nicht gerade am Kochen war, hielt sie sich gerne im Garten bei ihren Pflanzen auf. Und rauchte eines. Hier offenbar in einer kurzen Pause vom Kochen .... Bis zu ihrem letzten Tag zu Hause bepflanzte sie noch alles neu, wie wenn sie es gewusst hätte, was auf sie zukommt.
Wie wenn sie ihr nahes Ende hätte kommen sehen, insistierte sie im Frühjahr 2024, mehrmals pro Woche alle nötigen Pflanzen zu kaufen. Als sie am 13. Mai ins Spital musste, war der ganze Garten mit an die 100 Pflanzen frisch bepflanzt und ihre Orchideen-Sammlung toll im Schuss.
(2)

Sie war ein medizinisches Wunder, nach allem, was sie seit der Teilentfernung ihres Magens durchgemacht hatte. Und sie war ein Wunder an positivem Antrieb und Schaffenskraft. Sie war beseelt vom Willen, ihren Beruf Hausfrau bis zuletzt auszuüben. Auch deshalb, weil sie am liebsten ass, was sie selber eingekauft und zubereitet hatte ....
Am Ende war der Krebs stärker und führte innert wenigen Tagen zu einem zunehmend sehr schmerzhaften Darmverschluss. Nach der notfallmässigen Einlieferung ins Spital am 13.5.2024 musste sie "nur" noch 3 Tage leiden. Schon nach 2 Tagen war klar, dass unser Plan, sie mit Palliativpflege nach Hause zu nehmen nicht aufgehen würde. Dank "Sister Morphin" hat sie zum Glück nicht extrem leiden müssen und die Agonie am Morgen des 16.5.2024 dauerte nur wenige Stunden. Ralph und ich waren bei ihr.
Es war und ist hart – nach 52 temperamentvollen (und manchmal lauten ….) gemeinsamen Jahren Auch wenn man meint, man sei auf so etwas seit langem vorbereitet, sind wir es nicht. Allerdings, nicht mehr sehen zu müssen, wie sie leidet und die Unfähigkeit, wirklich zu helfen, nahm und nimmt mir nach und nach ein grosses Gewicht von den Schultern. Auch sich einzureden, dass es für sie eine Erlösung war.
Sie war – wie immer – sehr tapfer und gefasst. Angstfrei, ohne Tränen, ohne Klagen. Dem Arzt hat sie noch gesagt, sie wolle dann in die Hölle – da sei es sicher lustiger. Sie hat uns dann auch noch darauf hingewiesen, dass es sie immer an einem Geburtstag treffe:
- 1. Februar 2021, mein Geburtstag, die Teilresektion des Magens und der Speiseröhre.
- 18. Oktober 2023, ihr Geburtstag, Entfernung der Gallenblase.
- Und 16.5.2024 Geburtstag von Ralph. Ganz speziell, sich genau an dem Tag vom Sohn zu u verabschieden, an dem er vor 48 Jahren geboren wurde.
Sie war in jeder Hinsicht einmaliger, grossartiger Mensch. Sie verstand es, Menschen für sich einzunehmen. Auch ihren Abschied von dieser Welt machte sie mir so leicht wie möglich. Mein Schreiben an gute Freunde mag das verdeutlichen:
En este momento no cogemos teléfonos por que nos faltan palabras. Pero también por la simple razón, que la tristeza que sentimos dentro de nosotros (toda la familia) no queremos que se multiplique desde fuera. Con lo que era Vicenta, todos están afectados mucho y lo sabemos y lo apreciamos. Pero lo que mas nos hace falta en este momento es alegría y positivismo.
La verdad es, que Vicenta a sufrido mucho en su calidad de vida en los ultimos mas de 3 años. Desde que le quitaron la vesícula en Octubre 2023 aún mas. Pero juntos con ella, también nosotres sufrimos de ver sus incapacidades todos los días, y con sus 34 kilos que le quedaban, sin parar de hacer todo lo que podía en casa y en el jardín para procurar para mi y la familia. A parte que ella no era una persona que se dejaba ayudar o que le tengan lastima. Nunca en este periodo difícil hemos visto una lagrima o una desesperación. Era un gigante de fuerza y de energía y de empatía.
Por esto, lo que ella en este momento espera de nosotros, es que seguimos nuestra vida, disfrutando el poco tiempo que nos queda. De un día al otro puede cambiar todo – como la vida de Vicenta lo ha demostrado.
Por favor, no tengáis lastima de ella, ni de mi o de mi familia. El tiempo de tener lastima ha pasado – eran los últimos 3 años que ella no ha tenido una vida normal – ni yo tampoco, dedicándome a ella. El alivio para ella es total. Para mi empieza una fase de reencontrar mi vida independiente y autodeterminada. Tardará und poco – pero me podéis ayudar tratándome “normalito” y sin tenerme lastima. Si me podéis entender. Siempre podemos recordarnos de ella con alegría y gratitud.
He estado hoy otra hora solo con ella en el cementerio, mirándola como esta allí expuesta tan pacificamente, bien vestida y con el cuidado que ella se daba. Me calmaba mucho y entendía que ella esta ahora mucho mejor que en los últimos años. Entiendo que ella quiere que sigo mi vida – encontrando otros momentos de felicidad. La prueba es, que sin darme cuenta ella ha instruido nuestra ayudita de casa como tiene que lavar mi ropa, donde están las sabanas de diferentes tamaños (que yo ni idea) y los trabajos a efectuar semanalmente. No estoy “perdido”. Solamente no comeré nunca mas sus arroces melosos y guisados.
Eric, con saludos de Vicenta

J.M.: "Wir haben Vicenta als sehr temperamentvolle, lebenslustige Person mit viel Schalk und Energie in Erinnerung. Und diese schöne Erinnerung an sie werden wir auch in Zukunft in unseren Herzen behalten."
L.F.: "Sabemos que era una mujer especial!"
C.S.: "La tia Vicenta como buena Libra de horoscopo como yo , siempre ha vivido para hacer felices a los demás. Siempre con buen humor. Ha vivido pensando en todos y ella siempre la ultima. Haciendo de todo como si nada. Aunque no hemos tenido tanto contacto, la quiero, la he querido y siempre la querré. Desde pequeñita ha sido como mi segunda madre y siempre ha estado ahi cuando la he necesitado. Siempre ha tenido ese caracter positivo. Se va con ella un trocito de mi corazón. Siempre animandome y orgullosa de mis progresos, igual que mi madre."
Sogar von ihrem Zahnarzt kam eine wirklich schöne Reaktion: "Ich habe in meinem Leben sehr viele Kontakte zu verschiedensten Menschen gehabt, aber Ihre Frau war ein ganz besonderer Mensch. Ich hatte das Gefühl sie ist unsterblich.
Für Sie war es sicher ein unglaubliches Geschenk, mit solch einer positiven und charaktervollen Dame über ein halbes Jahrhundert verheiratet gewesen zu sein. Mein tiefes Beileid."
Sie war eine Frau, die man auf Anhieb mochte, die mit jedermann auf Augenhöhe verkehrte. Absolut frei von irgendwelchem Standesdünkel. (Typischerweise unterhielt sie sich auch mit den Abfallkübelleerern.) Sie konnte jedoch auch sehr schnell entscheiden, ob sie jemanden mochte und Kontakt pflegen wollte oder nicht.
Nach 52 gemeinsamen Jahren sollte man meinen, alles über einander zu wissen. Ich kann das über Vicenta leider nicht unbedingt behaupten. Hätte Sie sich ein anderes Leben gewünscht? Hat ihr etwas gefehlt? Habe ich sie verletzt? Sie hat sich darüber nie konkret geäussert. In den letzten Jahren wiederholte sie aber ab und zu, dass ihr Lebensplan von klein auf darin bestanden habe, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Nach der schmerzhaften Geburt unseres Sohnes am 16.5.1976 blieb es dann allerdings bei einem Kind, dessen sie sich umso intensiver und inniger annahm.
Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, ich habe in meinem Leben nie eine Frau getroffen, mit der ich mir ein so langes Leben zu zweit hätte vorstellen können. Die Mischung verschiedener Qualitäten waren bei Vicenta einfach einzigartig. Angefangen beim schnellen und jederzeit ultrawachen Verstand, ihrer Bodenhaftung, ihrem gesunder Menschenverstand, ihrer Extrovertiertheit und ihrem ausgeprägten Sinn für Humor und Komik. Aber auch ihr Temperament, das zu manchen «Explosionen» geführt hat.
Ihre Sparsamkeit war ein Kapitel für sich: Fürs Essen gab es keine Kompromisse. Wenn es aber um den Kauf von Kleidung ging, musste ich zu einer List greifen. Damit sie nicht primär nach der Preisetiquette kaufte, deckte ich diese jeweils ab, bis sie sich geäussert hatte, ob ihr das Stück gefiel. Nach dem Anprobieren hiess es dann noch oft genug "gefällt mir doch nicht", meistens bei den teureren Stücken.
Mit ihrem überbordenden Temperament und bei meiner Empfindlichkeit konnte es allerdings ab und zu auch laut werden. Zuerst verletzte es mich, wenn ich es als ungerechtfertigt empfand. Viel zu spät kam ich zur Erkenntnis, dass dies einfach ein Ventil war, um ihre immense Energie abzuleiten. Oder einfach recht zu bekommen; sie verzichtete ungern auf das Privileg des letzten Wortes. Aber auch wenn es blitzte und donnerte, wie bei einem richtigen Gewitter, war es auch wieder schnell vorbei.
Ihren ausserordentlichen Kochkünsten, mit denen sie mich und die Familie verwöhnte, habe ich ein separates Kapitel gewidmet.
Über ihre Unternehmungslust in unseren ersten rund 15 Ehejahren mit mehreren Reisen in die USA, dem 3 monatigen Aufenthalt in England und Reisen in und durch Europa erinnerte ich mich staunend immer wieder, als sie in unserem Haus immer mehr zur "Stubenhockerin" wurde. "Me gusta estar en mi casa." Die aufkommenden "Telenovelas", von denen sie immer mehrere parallel schaute, ohne den Überblick zu verlieren, hatten daran auch ihren Anteil.
Eine ganz spezielle Anekdote, die ich zu Beginn unserer Bekanntschaft kaum glauben konnte, mich jedoch stark beeindruckte, beschreibt sie perfekt:
Sie lebte schon einige Jahre in Zürich, mittlerweile selbständig jeweils in Apartmenthäusern mit kleinen Studios oder Zimmern. Ihre feste Absicht war jedoch, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Kochen und putzen konnte sie, was sie jedoch zu Hause nie gelernt hatte, war Wäsche korrekt zu bügeln. Diese Fähigkeit wollte sie sich unbedingt aneignen. In der Nähe ihrer Wohnung gab es einen Waschsalon mit chemischer Reinigung. Sie fragte dort nach, ob sie an ihren freien Tagen, meist samstags, bügeln dürfe. Sie verlange dafür keinen Lohn, sie wolle es aber lernen. Das tat sie dann auch und war später, als Hausfrau, eine perfekte Büglerin.
Und dann eben eine perfekte Hausfrau - ohne die Bünzligkeit, die viele auszeichnen. Bei ihr konnte auch einmal etwas längere Zeit rumliegen, bis es seinen Platz fand. Oder eine Deckenlampe durfte auch länger Pause machen, bis ich sie widerwillig ersetzte. In gutem Sinne war jedoch Hausfrau und Mutter sein ihr Beruf, den sie mit aller Ernsthaftigkeit und Kompetenz ausübte. Sie konnte keine Arbeit liegen lassen. Sie hat unseren Sohn Ralph ohne grosse Unterstützung meinerseits grossgezogen und sich darüber nie beklagt. Oft war ich beruflich unterwegs oder kam spät nach Hause. Sie lebte eine für mich und unser Vorwärtskommen eine perfekte Rollenteilung: Sie nahm mir alles ab, was nicht direkt meiner Karriere und der Einkommensverbesserung diente. Gerade um mir die berufliche Entwicklung und Verwirklichung zu ermöglichen. Danke Vicenta, du kluge Frau.

Zu Beginn traf ich Vicenta nur und primär zufällig im Rahmen ihrer spanischen Clique, zu der ich damals (gnädiger Weise) stossen konnte. Es war an sich schon ein Genuss, diese mediterrane Lebens- und Genussfreude miterleben zu dürfen. Ganz zu schweigen von der Freude, in ihrer Nähe zu sein und zu spüren, dass da etwas am Entstehen war.
Irgendwann und irgendwie gelang es mir, sie zu einem Rendez-vous einzuladen, das sie sogar annahm. Dafür hatte ich mir einen Kinobesuch ausgedacht. Sie liebte Musik über alles, und was lag da näher als der damalige Renner "Anatevka". Wir verabredeten uns in einer Bar am Stadelhofer-Platz, den sie von der Burgwies her mit direktem Tram erreichen konnte. Zum Glück hatte ich genügend Zeit vor dem Filmstart eingeplant, denn ich wartete und wartete, und sie kam einfach nicht. Ich wollte schon zahlen und weggehen, als sie dann doch noch auftauchte. Später erzählte sie mir, dass sie mich eigentlich versetzen wollte. Sie hätte sich dann aber, als es eigentlich schon zu spät war, doch noch rasch geschminkt, angezogen und sei aufs Tram gespurtet.
Der Film gefiel uns beiden, aber der Abend verlief für mich nicht so ganz nach meinen Erwartungen. (Vielleicht war ich über die grosse Verspätung auch etwas verstimmt?) Jedenfalls brachte ich sie irgendwann mit dem Tram nach Hause und musste mich vor der Haustüre verabschieden. Mit oder ohne Kuss weiss ich nicht mehr - aber eine bleibende Erinnerung war es offenbar nicht ....
Nachdem ich Vicente mit meinem Schulspanisch radebrechend einige Male ausgeführt hatte, sind wir eines Nachts (oder eher am frühen Morgen) doch noch erstmals in meiner Wohnung gelandet. Die damals übliche nicht zu knappe Menge an Alkohol hat sicher mitgeholfen. Am Morgen, als wir dann nach wenigen Stunden Schlaf in meinem nicht allzu breiten Bett beide wach waren, kam dann der Hammer. Sie schaute mir bei Tageslicht lange ins Gesicht und meinte: "Que feo que eres". Ich verstand es damals, glaube ich, nur sinngemäss, aber es war mir klar, dass es kein Kompliment war. Sie sagte das einfach so, wie wenn sie gesagt hätte "Der Kaffee ist kalt". (Es gab allerdings keinen.) Sie sagte auch später meist das, was sie dachte geradeheraus.
Als es mir dann im Verlauf des Tages dämmerte, war das für mich eigentlich das gefühlte Ende eines "one night-stand". So what? Ich war ja noch so jung - und damals voll fokussiert, meinen Maturaabschluss zu schaffen. Eine feste und intensive Beziehung kam gar nicht in Betracht. Dass wir uns erneut trafen und weiterhin verabredeten, wie wenn nichts gewesen wäre, grenzt für mich heute noch an ein Wunder. Unsere Beziehung intensivierte sich sogar zusehends, und wir trafen uns häufiger - auch bei ihr. Und ohne mir weitere ähnlich gelagerte "Komplimente" anhören zu müssen.
Bis ich ihr, auch wieder in den frühen Morgenstunden, an der Kreuzung Langstrasse/Josefstrasse eine Ohrfeige verpasste. Ja! Sie hatte so etwas wie einen hysterischen Anfall. und ich war völlig perplex und noch mehr überfordert. Ich erinnerte mich jedoch vage, gelesen zu haben (vermutlich bei Karl May), dass in solchen Situationen eine Ohrfeige oder ein sonstiger Schock helfen würde. Intuitiv verabreichte ich ihr also diese medizinisch indizierte Behandlung. (Zum ersten und letzten Mal.) Der Erfolg war frappierend. Sie beruhigte sich augenblicklich, schmiegte sich mit ihrem schönen Köpfchen und den fast hüftlangen Haaren an meine Brust und sagte mehrmals ganz erstaunt: "Me has pegat!" Und oh Wunder: Statt dem Ende unserer Beziehung vertiefte sich diese rasch weiter. Auch wenn sie in der Spanien-Clique völlig unbeschwert rumerzählte, ich hätte sie geschlagen. Wovon kein Mensch ein Aufheben machte, schliesslich waren wir ja noch zusammen. Natürlich schäme ich mich bis heute und kann immer noch nicht verstehen, dass sie mir, ihrem Charakter und Temperament entsprechend, nicht postwendend auch eine geschmiert oder die Augen ausgekratzt hat.
Die nächste Stufe kam, als sie eines Tages meinte, es sei doch Blödsinn, dass ich als mittelloser Student für meine zwei lausigen Zimmerchen Miete zahle. Ich könne ja bei ihr einziehen. Auch wenn es nur ein Zimmer war, in dem gerade auch noch mein Schreibtisch Platz fand, hatte sie im Gegensatz zu mir immerhin eine mit zwei anderen Mieterinnen geteilte Küche und ein Badzimmer! Welch ein Luxus für mich, der an der Josefstrasse ohne Dusche/Bad und ohne Küche auskommen musste. (Verbotenerweise hatte ich natürlich eine kleine elektrische Herdplatte.)
Nun, wir taten diesen Schritt, und sie bestand darauf, mich nicht an ihren Mietkosten zu beteiligen. Sie hätte diese ja sowieso. Welche Schweizerin hätte so gedacht? Ich habe das dankbar angenommen, lief ich doch als Student jeden Monat auf dem letzten Franken.
Das ist nur ein Müsterchen ihrer faszinierenden und facettenreichen Persönlichkeit, die mich zeitlebens in ihren Bann zog. (Und mich in den letzten Jahren unseres gemeinsamen Lebens immer stärker beeindruckte und sogar verblüffte.) Gemeinsame Ferien, einmal in einer kleinen gemieteten Ferienwohnung in Brusino (TI) und die schon beschriebenen Aufenthalte in Spanien mit vorbehaltlosem Gutheissen meiner Person durch die Schwester und den Schwager, beendeten mein Junggesellendasein in jungen Jahren. Mit 23 verlobten wir uns im kleinsten Kreis bei meiner Mutter zu Hause, mit 24 heirateten wir, und mit 26 wurde ich stolzer Vater. Dass es bei der Heirat nicht einmal für eine Torte gereicht hat, schildere ich ebenfalls in meiner eigenen Biographie.

Nie hat sie ein Rezeptbuch konsultiert oder sonst jemanden. Was sie für neue Gerichte nicht wusste, probierte sie aus und erfand ihre eigenen Kreationen. Ein Wurstsalat war bei ihr eben nicht einfach ein Wurstsalat. Die Schützenwürste (besser geeignet als Cervelat) wurden in erheblichem Umfang ergänzt mit ein bis zwei Käsesorten, hartgekochten Eiern, Tomaten und Peperoni. Selbstverständlich reichlich Zwiebeln. Es war immer unser Standardessen, wenn wir von Spanien in die Schweiz zurückkehrten.
Aber ihre grosse Fähigkeit zeigte Sie bei den Reiseintöpfen mit meist mehreren Fleischsorten, in der Regel Poulet und Rinds-Schulterspitz und wenn es ging ein Schweinsfüsschen oder mindestens 2 - 3 Markbeine. Dito mit Puchero. Besondere Klasse hatte ihr Arroç al Forn, den sie bis zuletzt gleich für die ganze Familie zubereitete.

(1) Ihr berühmter Arroz al Horno (Arros al forn) - Ein im Ofen zubereiteter Safran-Reiseintopf, zusätzlich mit Kartoffelscheiben und viel Kichererbsen. Als Fleisch zwingend Stückchen mit Schweinsbrustspitz und pro Person eine Botifarra, eine kleine Blut- und Zwiebelwurst. In der Mitte immer ein ganzer Knoblauch. Die meisten sagen, dieses Gericht schmecke am andern Tag kurz in der Pfanne gewärmt noch viel besser.
Das assen wir sogar ab und zu im Jeronimo, unserem Lieblingsrestaurant in El Perelló.
Und anfangs Mai assen wir den letzten von ihr zubereiteten "Ofenreis", mit den letzten eingefrorenen Botifarres.
(2) Arroz al Horno ausnahmsweise im Restaurant. Obwohl natürlich kein Vergleich mit dem von Vicenta. Daas einzige was sich gleich bleibt ist die Riesenportion ....
Aber wie man sieht, waren wir gegen Ende der Corona-Pandemie einfach nur glücklich, wieder auswärts essen zu können. Nicht zuletzt, weil wir in unserem Feriendomizil nie selbst kochten, damit Vicenta wirkliche Ferien hatte.
Ich hatte nach meinem Wechsel in den Ruhestand 2010 den Vorsatz, alle ihre Rezepte aufzuschreiben. Es erwies sich als undurchführbar, weil sie mir die Kochrezepte nicht diktieren konnte. Sie hatte sie zwar alle minutiös im Kopf, aber erinnerte sich während des Kochens. Ich musste also mit meinem Laptop daneben sitzen und alles protokollieren. Da sie stundenlang kochte, fehlte mir (leider) die Geduld und Musse. Es hätte aber auch keinen Sinn gehabt, weil es nie gelungen wäre, die Gerichte genau gleich nachzukochen. Aber vor allem würde es heute keinen Spass machen, sie ohne sie zu essen!
Von meinen kläglichen Aufschreibversuchen erhalten geblieben sind mir deshalb nur zwei vollständige Rezepte (in den nächsten beiden Unterkapiteln) sowie einige Fotos auch mit Schweizer Gerichten. Ich darf behaupten, dass ich von Vicenta kulinarisch sehr verwöhnt war, weil Essen für sie immer - wie für die meisten Spanier - einen sehr hohen Stellenwert hatte.
So war ihr Rehrücken, von dem sie selbst nichts ass, weil sie weder Wild noch blutiges Fleisch mochte, Spitzenklasse. Begleitet von wunderbarem Rosenkohl in Zwiebel/Butter-Schmelze und frischen Steinpilzen in einem Rahm/Weisswein/Cognac-Sösseli als "Sättigunsbeilage". Man beachte die Pfefferschotte für noch etwas Pfiff.
(3) Vicenta hatte auch Gerichte liebevoll im Griff, die sie nicht selbst ass.
Ebenfalls Spitzenklasse war ihr Schweinsfilet im Blätterteig (immer selbst ausgewalzt) mit Emmentaler- und champiñones a l'ajillo-Füllung. Entweder am Stück oder in kleinen Teigtaschen. Hier am Stück:
(4) Ein Festessen. Meistens zusätzlich mit einem Saffranrisotto.
(5) Schweinsfilet mit gleich mitgebackener Beilage, Tomaten mit Oregano und feingehacktem Knoblauf. Wer braucht da noch ein Saffranrisotto? Vicenta meistens schon.
Lammschülterli aus dem Ofen gab es regelmässig, besonders an Weihnachten und Ostern fast Pflicht. Ausser sie bestand auf Truthahn oder Kapaun:
(6) Lammschülterli - immer genau à point. Begleitet von Kartoffeln, Peperoni, Tomaten, Fenchel und ganzen Zwiebeln. Mit frisch im Mörser zubereiteter Alyoli. Das Messer für das zarte Fleisch war jeweils fast überflüssig. Perfektes mediterranes Essen - mit genügend Wein dazu.
(7) Sie hatte jedoch auch ein Händchen für Bernerplatte. Die Riesenportionen Speck, Saucisson Rippli und Coco-Bohnen reichten jeweils mindestens für vier ..... Vicenta hatte von den meisten Gerichten keine Ahnung, wie man sie für 2 Personen kochte ....
Das galt auch für ihre andern nicht spanischen Gerichte, die alle den unvergleichlichen Vicenta-Touch hatten: Z.B. Lasagna und Osso-Bucco.
Zwischendurch mit einem tapasmässigen Abend bereitete sie mir immer eine grosse Freude:
(8) Eine einfache Tortilla "garni" .... Nur schon ihre Tortillas waren unerreicht mit ihrer genau richtigen, weichen Konsistenz. Anstatt Manchego durfte es zur Begleitung auch einmal ein Rohmilch-Camembert sein und ein preisgekrönter Spitzenwein aus dem Burgenland, den unser Nachbar Thomas Kirnbauer über seine Austrowein GmbH vertreibt.
Und für sie wohlverdient, liessen wir es uns in Spanien auswärts gut gehen. Sie genoss ihre Ferien vom Kochen und rührte in unserem Feriendomizil keine Pfanne an:
(9) Richtige Paellas sind eine Kunst. Ob mit Marisco, wie hier oder mit Polly y Conejo. Und wenn sie im Jeronimo von unserem Lieblingskellner Deo charmant serviert werden, schmecken sie noch besser.
(10) Natürlich durfte es zur Abwechslung auch ein Arros caldos de marisc sein! Auch wenn Vicenta nur den Reis ass. Jede Paella gibt es auch in der Variante "flüssig". Es schmeckt viel besser und intensiver als die trockenen Varianten.

Empanadillas de atún a la Visanteta
Als Vorspeise, Znüni oder Häppchen/Tapa zwischendurch.
Man nehme:
3 ganze Peperoni, diverse Farben. In ganz feine Würfelchen schneiden.
In Bratpfanne mit etwas Sonnenblumenöl sanft dünsten. Pinienkerne zufügen.
Wenn der Peperoni weich ist, 2 Dosen mit ganzen Tomaten hinzufügen. Tomaten vorher zerkleinern.
1 Dose Thunfisch daruntermischen (200 - 250 g Dose)
Salzen und etwas schwarzen Pfeffer zufügen.
(Optional: zusätzlich zwei hartgekochte feingehackte Eier darunter mischen)
Einköcheln, bis eine feste Masse da ist.
Abkühlen lassen
Blätterteig fein ausgerollt aus dem Block. (Sie bestand darauf und kaufte nie den schon gerollten!)
Mit einer Tasse ausstechen, je nach gewünschter Grösse der Empanadillas
Mit der abgekühlten Masse in der Mitte füllen und umlegen; mit einer Gabel die Ränder anpressen.
Mit Ei (ganzes Ei) und Pinsel bestreichen
Backen:
Auf einem Backblech verteilen und in den auf 210° vorgeheizten Backofen mit Ober- und Unterhitze schieben, in die Mitte. Wenn schön goldbraun (10 – 15 Min.) herausnehmen. Leicht geöffnete Empanadillas lassen sich ganz leicht wieder zusammendrücken …. Noch lauwarm schmecken sie am besten … jedoch auch kalt während 1 – 2 Tagen, aber sie sind vorher weg ….
(1) Ampanadillas de Atun a la Visanteta

Albonigas de Bacalao – Mandonguilles d’avaecho
Typisch spanisches und portugiesisches Gericht, das über 2 Tage viel Arbeit gibt! Als Vorspeise oder zwischendurch. Wird typischerweise zusammen mit frisch zubereitetem Ailyoli gegessen. (Wer Ailyoli nicht mag oder nicht verträgt, kann auch auf Mayonnaise oder Tartarsauce ausweichen.)
Achtung, die Vorbereitung beginnt 1 - 2 Tage vor der eigentlichen Zubereitung mit der Entsalzung des Bacalao!
Man nehme:
Einen halben, möglichst fleischigen, schneeweissen getrockneten Bacalao von ca. 2 kg (gesalzener, getrockneter Kabeljau vorzugsweise norwegischer oder portugiesischer Provenienz) in handballengrosse Stücke schneiden und 36 h – 40 h in Wasser einlegen, Gefäss in den Kühlschrank stellen und im Verlauf der 36 – 40 h Wasser 4 – 5 mal wechseln, um den Bacalao zu entsalzen.
Ca. zweimal so viel Kartoffeln schälen, wie das Gewicht des Bacalao beträgt. (Kann variert werden, je nachdem, ob der Kartoffelgeschmack oder der Bacalao-Geschmack überwiegen soll.) Kartoffeln schälen und wie Salzkartoffeln in Würfel schneiden und weich kochen, um sie nachher durch das Passevite zu passieren. Nicht salzen!
Bacalao in grossen Topf mit Wasser legen (die Bacalo-Stücke müssen frei schwimmen können) und zum Siedepunkt bringen. Ca. 30 Minuten auf dem Siedepunkt kochen lassen, bis der Fisch gar ist (mit der Gabel prüfen), so dass sich das Fischfleisch anschliessend von Hand gut von den Geräten und der Haut ablösen lässt. Den sich während des Siedens bildenden Schaum (Impureza) laufend abschöpfen und wegwerfen.
Zutaten:
7 Knochblauchzehen schälen und fein häckeln. Frisches Peterli nach Gutdünken fein häkeln, reichlich Pinienkerne nach Gutdünken und Portemonnaie. Einen gestrichenen Kaffeelöffel Paprika. Ideale Mischung ist 50 % davon scharf, 50 % süss, kann jedoch je nach Geschmack variert werden. 6 – 7 Eigelb. Schwarzer Pfeffer aus der Pfeffermühle und ca. ¼ Teelöffel Muskatnuss.
Das Eiweiss zur Seite stellen, um es später zu Schaum zu schlagen, in dem die Kroketten vor dem Frittieren gewendet werden.
Die Masse herstellen:
Den fertig gesottenen Bacalao aus dem Wasser nehmen und abkühlen lassen. Sobald lauwarm, das Fischfleisch von den Gräten und der Haut lösen und zerzupfen. Achtung: Es dürfen absolut keine Gräte mitkommen, da diese sonst in den Kroketten wieder auftauchen! Gräte und Haut wegwerfen.
Weichgekochte Kartoffelstückchen zusammen mit dem losgelösten grätefreien Fischfleisch (ca. halbe halbe) durch das Passevite (mittelgrosse Löcher) passieren. (Traditionelle Herstellung, die eine noch schönere Masse ergibt: Mit dem Mörser Kartoffeln und Bacalao-Fleich zerstampfen!).
Unter die so entstandene Masse aus passierten Kartoffeln und Bacalao obige Zutaten darunter mischen. Das ganze gut durchkneten, bis alle Zutaten gleichmässig verteilt sind und ein homogener „Teig“ entstanden ist.
Aioli
5 oder 7 Knochblauchzehen in Mörser zerstampfen. (Gemäss dem Volksmund Immer ungerade Zahl nehmen!), bis eine homogene Masse entsteht. Laufend etwas Oel zuträufeln. 1 Eigelb darunterziehen. So lange rühren und stampfen bis eine feste Masse entstanden ist. (Statt im Mörser auch mit Handmixer möglich, der Aioli wird jedoch weniger sämig). Achtung: Den aioli nicht länger als 24 h aufbewahren.
Fritieren:
Kroketten länglich formen mit ca, 2 cm Durchmesser und 4 – 5 cm Länge oder runde Küchlein, von ca. 4 cm Durchmesser. Ins aufgeschäumte (nicht ganz steif geschlagene) Eiweiss eintauchen und sofort ins heisse Öl.
In heissem Öl in der Friteuse oder der Bratpfanne frei schwimmen goldgelb frittieren. Achtung, die Kroketten dürfen nicht braun werden!
Die frittierten Kroketten auf eine mit saugkräftigem Haushaltspapier ausgelegte Platte auslegen. Die ersten handwarm stibitzen!
Essen:
Die frisch frittierten, noch lauwarmen Kroketten schmecken am besten - und mich reichliche Aioli. Sie können jedoch auch noch nach 1 – 2 Tagen jeweils im Microwellen-Ofen kurz erwärmt werden. Die meisten haben jedoch die Geduld nicht und verspeisen sie kalt ....


(1) Vicenta und meine Mutter und der vermutlich etwa 10jährige Ralph, der jeweils mithelfen musste, dass die "Bütter" spannend waren. Was allerdings meist illusorisch war, da Vicenta auch mit miesen Karten so lange bot, bis sie allein spielen konnte ....
(2) Ziel erreicht, stolz und happy: Haus, Hund und schöne Blumen. Und vor allem Sohn und drei Enkelkinder ganz in der Nähe!
Der Ausgangspunkt zu unserer 50jährigen glücklichen Verbindung als Ehepaar begann in der kleinen reformierten Kirche Seebach. Eine grössere Fliege konnte ich nicht finden ....
(3) Vor der Trauung auf dem Vorplatz der reformierten Kirche Seebach am 19.1.1976. Ich wusste vermutlich nicht, wie mir geschah, aber dass sie glücklich war, sieht man. Links unser Trauzeuge und Freund Hans-Peter "Julien" Millischer, im Hintergrund mein Bruder. Das Cape hat meine Mutter genäht. Die Braut sollte wie die englische Königin daherkommen.
Ihr und auch mein grösstes Glück war jedoch unsere kleine Familie:
(4) Kleine Familie, grosses Glück. Und die unvermeidliche Zigarette. Juli 1987, Ralph 11jährig.
Aber richtig in ihrem Element war sie in Spanien. Auch wenn's nur mit ein paar Getränken und Tapas in einer Garage war!
(5) Einfachstes Relax in Spain, unkompliziert, improvisiert aber immer liebenswürdig und von Herzen bereit gestellt. Trotzdem wollte sie lieber in der Schweiz leben; hier war ihr zu Hause.
(6) Weihnachten in Spanien ist immer mit viel Emotionen und Essen verbunden. Hier Spanferkel und Lamm im Ofen geschmort. Vicenta sichtlich konzentriert beim Auftragen mit Schwager Bartolo (rechts) und dem Mann ihrer Nichte Conchin. Einige Jahre verbrachten wir Weihnachten in Spanien, was für sie immer eine glückliche Zeit und Erinnerung an ihre Jugend war.
Eines der wenigen Fotos mit ihrer Mutter.
(7) Weihnachtsfeier mit der ganzen Familie ihrer Schwester Conchin. Zweite von links ihre Mutter. Vicenta vorne verdeckt. Sie liess sich nicht gerne fotografieren. Ich weiss nicht mehr, was für einen seltsamen Umhang ich tragen musste.
Aber was letztlich für ihren Lebenswillen zählte, war ihre eigene Familie und vor allem ihre Enkelkinder:
(8) Zum 80. Geburtstag. Feier zu Hause, stressfrei.
(9) Vermutlich das letzte Mal mit Samichlaus und Schmutzli. Wie man sieht, waren die Zwillinge nicht sehr beeindruckt.

Ihre grosse Freude und Stolz waren natürlich in dieser Zeit die Geburt unserer drei Enkelkinder, zuerst Mila und drei Jahre später die Zwillinge Ben und Marlon. Über die Kinderkrippen, Kindergarten und ersten Schuljahre hinweg. Sie kochte für sie leidenschaftlich gerne, immer genau das, was sie mochten. Die allzu bekannte Schweizer Mentalität meiner Jugend, "man isst, was auf den Tisch kommt - und man isst aus" war ihr völlig fremd. Das Wohl und Glücklichsein der Enkel ging über alles.
Leider ereilten dann auch sie die typischen gesundheitlichen Probleme im Alter. Mit 78 Jahren erlitt sie einen Herzinfarkt während unseren Ferien in Spanien. Sie fühlte sich seit einigen Tagen schwach, so dass wir uns entschlossen, unseren "Hausarzt" in El Perellonet, Don Vicente Puchades, aufzusuchen. Nach einem Elektrokardiogramm, zum Glück war seine Dorfpraxis damit ausgerüstet, (weil er ein ehemaliger Kardiologe ist), machte er ein sehr besorgtes Gesicht und sagte, ich müsse sie auf dem schnellsten Weg ins nächstgelegene Spital bringen, nur ausgestattet mit dem Ausdruck des Kardiogrammes. El Ribera lag am nächsten. Natürlich liess sie es sich nehmen, bevor wir uns zum Notfallschalter begaben, noch eine Zigarette zu rauchen ...
Auch wenn es ein kleines Landspital ist, retteten sie ihr das Leben. Innerhalb etwas mehr als einer Stunde nach unserer Anmeldung am Notfallschalter, hatte man ihr bereits einen Stent eingepflanzt. Am Abend konnte ich sie auf der Intensivstation besuchen und ca. eine Woche später, waren wir wieder in unserem Feriendomizil.
Zu Hause in der Schweiz schickte uns der Hausarzt zu Nachuntersuchungen zu Kardiologen. Diese zeigten sich sehr entsetzt, dass man bei so einer schwere Beeinträchtigung "nur" einen Stent eingesetzt hatte. Mit allen Mitteln sollte es eine By-pass-Operation sein. Als sie sich, mit Zustimmung des Hausarztes, weigerte, schrien sie Zeter und Mordio und gaben ihr nur noch wenige Monate. Sie liess sich nicht beirren. Und lebte tatsächlich, was das Herz anbelangte, noch weitere 6 Jahre beschwerdefrei. Jedenfalls starb sie nicht infolge des angedrohten zweiten Herzinfarktes.
Der eigentliche Schock kam mit der Entdeckung eines Tumors in der Speiseröhre am Mageneingang als sie 80 Jahre alt war. Nach der anschliessenden teilweise Magenresektion in einer fast 8stündigen Operation (Universitätsspital Zürich, Prof. Gutschow) begann eine Leidenszeit mit einer permanenten Speiseröhrenentzündung infolge von Reflux. Und progressiver Gewichtabnahme bis auf 34 kg. Zu allem Übel hatte sie im Oktober 2023 starke Unterleibsschmerzen und musste notfallmässig ins Spital. Der Befund war schnell da: Gallenblasenstein.
Der operativen Entfernung der Gallenblase (Privatspital Bethanien, Dr. Jeanmonod) stimmte sie zu und tatsächlich war sie eine gute Woche später schmerzfrei wieder zu Hause. Allerdings mit dem unschönen Befund, dass auf der Gallenblase Tumorzellen gefunden wurden, die sich vermutlich bereits im verbliebenen Gallenblasengang angesiedelt hätten. Wie schon nach der Magenresektion lehnte sie eine Chemotherapie ab.
Es verblieben ihr 6 Monate mit den bekannten Beschwerden beim Essen. Mal ging es gut, mal nicht. Nie voraussagbar. Wenn sie ihren Teller leer essen konnte, schlief ich in der Nacht meistens ruhig und zufrieden. Wenn sie wieder einmal fast nichts essen konnte, was auf fünf essen zwei bis drei mal der Fall war, quälten mich die Sorgen.

In meinen individuellen Informationsschreiben an die wichtigsten Bekannten und Verwandten habe ich das so zusammengefasst:
Lieber ....
Leider muss ich Dich informieren, dass am letzten Donnerstag meine Frau Vicenta verstorben ist. Der vor drei Jahren entdeckte und operierte Krebs war am Ende stärker und Metastasen haben zu einem Darmverschluss geführt.
Aber zum Glück war sie nur 4 Tage im Spital. Leider war schon nach 2 Tagen klar, dass unser Plan, sie mit Palliativpflege nach Hause zu nehmen, nicht aufgehen würde. Dank "Sister Morphin" hat sie zum Glück nicht extrem leiden müssen und die Agonie dauerte nur wenige Stunden. Ralph und ich waren bei ihr. Es war und ist hart – nach 52 temperamentvollen (und manchmal lauten ….) gemeinsamen Jahren Auch wenn man meint, man sei auf so etwas seit langem vorbereitet, sind wir es nicht. Allerdings, nicht mehr sehen zu müssen, wie sie leidet und die Unfähigkeit, wirklich zu helfen, nimmt mir sicher nach und nach Gewicht von den Schultern.
Sie war auch diese letzten Tage – wie immer – sehr tapfer und gefasst. Angstfrei, ohne Tränen, ohne Klagen. Und immer noch mit ihrem unendlich grossen und tiefen Schalk. Dem Arzt hat sie noch gesagt, sie wolle dann in die Hölle – da sei es sicher lustiger. Sie hat uns dann gerade auch noch darauf hingewiesen, dass "es" sie immer an einem Geburtstag treffe:
- 1. Februar 2021, mein Geburtstag, die Teilresektion des Magens und der Speiseröhre.
- 18. Oktober 2023, ihr Geburtstag, Entfernung der Gallenblase.
- Und gestern, 16.5.2024 Geburtstag unseres Sohnes Ralph. Ganz spezielle Dramaturgie, sich genau an dem Tag vom Sohn für immer zu verabschieden, an dem er vor 48 Jahren geboren wurde.
Einfach ein in jeder Hinsicht einmaliger Mensch. Ich werde nun versuchen, für die Enkelkinder und Familiengeschichte, das was sie mir während den gemeinsamen 52 Jahre über ihr Leben erzählt hat, auf meet-my-life.net festzuhalten.
Es soll kein Abschiednehmen sein, sondern genau das Gegenteil: Die Erinnerung an sie als nunmehr körperloses "Wesen" zu erhalten und mich daran und an der glücklichen Fügung, die uns zusammengebracht hatte, weiter zu erfreuen. In unser Gemeinschaftsgrab kommt ja nur die «Verpackung». Plus einige sehr persönliche Grabbeilagen von jedem Familienmitglied, wie das schon seit Menschengedenken praktiziert wird. Das wesentliche ist bei uns in den Köpfen und Herzen und lebt.
So erinnern wir sie:
(1) Wenn sie nicht gerade am Kochen war, hielt sie sich gerne im Garten bei ihren Pflanzen auf. Und rauchte eines. Hier offenbar in einer kurzen Pause vom Kochen ....
Bis zu ihrem letzten Tag zu Hause bepflanzte sie noch alles neu, wie wenn sie es gewusst hätte, was auf sie zukommt.
(2) Trotz aller Einschränkungen und nur noch 34 kg immer zum Scherzen aufgelegt, extrovertiert und fröhlich. Dieses Bild kommt auf unseren gemeinsamen Grabstein.
(3) Hoheit belieben zu posieren, Krebs hin oder her.
(4) Letzte Ehrerweisung durch die Familie am Familiengrab mit bereits reserviertem Platz für mich. Auf ihr. Face down.
(5) Buen viaje, Querida, Valenciana. Que te quiten lo bailao!
Wenigstens bleibt noch etwas in Stein gemeisselt:
(6) Grabstein mit QR-Code für den Download ihrer Lebensgeschichte
Und dies ist mein liebstes Foto:
(7) Mit Vicenta als wir uns 1972 kennenlernen. Sie hatte damals schönere und besser situierte Verehrer. Aber keinen der mehr Donald Sutherland glich als ich .... Ich war jedoch keineswegs sicher, ob sie nicht vor der Hochzeit noch einen "Rückzieher" machen würde.
Dass wir zusammengehörten und bei aller (oder trotz aller) Verschiedenheit es 52 Jahre miteinander aushielten, konnte niemand ahnen oder voraussagen. Es kamen uns nach der Heirat sogar böse Stimmen zu Ohren, die hinter unserem Rücken voraussagten, dass "diese Ehe" höchsten 6 Monate überleben würde. Vicenta und ich haben uns darüber immer wieder lustig gemacht.

Hinzu kamen ihre Sparsamkeit, Bescheidenheit und Ambitionslosigkeit, was Statussymbole und Luxus anbelangte. Sie gab - ausser für gutes Essen und die Wohnungseinrichtung - nicht gerne Geld aus. Dass sie Schmuck liebte, vorzugsweise mit Diamanten, war ihr nicht anzukreiden. Im Gegenteil erlaubte mir das, ihr von Zeit zu Zeit eine Freude und Überraschung zu bereiten.
Ich hoffe, sie empfand unsere gemeinsamen 52 Jahre ebenfalls als "Erfolg" und hatte nicht allzu viele nicht ausgelebte und mir verborgen gebliebenen Sehnsüchte. Ich habe keine Kenntnis davon. Sie wusste aber, dass ich ihr jeden Wunsch erfüllt hätte.